Die Kündigung durch Stromio brachte in Pforzheim zahlreiche Verbraucher zum Grundversorger. Der Neukundentarif von über 1 Euro je Kilowattstunden rief allerdings die Kartellwächter auf den Plan.

Die Aufregung war groß, als die Stadtwerke Pforzheim (SWP) ihren Neukundentarif für die Stromversorgung im Tarif Goldstadtstrom Classic 2 kurz vor Weihnachten auf 1,08 Euro je Kilowattstunde (Bruttoarbeitspreis) anhoben. Wie viele Grundversorger waren sie mit einer hohen Zahl von Anmeldungen früherer Stromkunden des Discounters Stromio konfrontiert. Zur Versorgung der 1.200 Neukunden für Strom und Gas seien keine Energiereserven vorhanden gewesen, erläutern die Stadtwerke nun in einer Pressemitteilung vom 20. Januar 2022 anlässlich einer Informationsveranstaltung für den Aufsichtsrat. Demnach musste kurzfristig Strom am Spotmarkt eingekauft werden.

Preisprüfungsverfahren angekündigt

Zuvor hatte die Landeskartellbehörde Baden-Württemberg ein Preisprüfungsverfahren zu den Neukundentarifen angekündigt, wie die Stadtwerke am 17. Januar mitteilten. Am gleichen Tag passte der Pforzheimer Versorger seine Konditionen an. Seitdem liegt der Arbeitspreis für Neukunden im Tarif Classic 3 mit 0,55 Euro je Kilowattstunde (Brutto) wieder in einem marktgängigen Bereich. Trotzdem bleibt die Frage offen, warum die Stadtwerke ihren Neukundentarif kurz vor Weihnachten auf ein derartiges Niveau angehoben haben.

Dazu erklärten die Pforzheimer Stadtwerke Ende Dezember, dass dadurch sichergestellt sei, „jene Kundinnen und Kunden aufnehmen zu können, die wir aufgrund von insolventen oder nicht mehr lieferfähigen Fremdanbietern versorgen müssen.“ Den ausschlaggebenden Arbeitspreisanteil für die Energiebeschaffung gaben die Stadtwerke in ihrem Tarif Classic 2 mit 0,77 Euro je Kilowattstunde an. Im neuen Neukundentarif Classic 3 liegt er bei 0,33 Euro je Kilowattstunde. Am EPEX-Spotmarkt kostete die Kilowattstunde laut dem Portal Strom-Report in der Woche vor Weihnachten 0,29 Euro und in der folgenden Woche 0,10 Euro.

Rekordtarif wurde rückwirkend gesenkt

„Da sich die Lage an den Energiemärkten nach Weihnachten etwas beruhigt hat, konnten die SWP nun den Preis für alle notversorgten Kundinnen und Kunden rückwirkend senken, sodass kein einziger Neukunde den hohen Preis tatsächlich bezahlt hat oder bezahlen wird“, heißt es in der aktuellen Meldung aus den Stadtwerken. Oberbürgermeister Peter Boch und SWP-Geschäftsführer Herbert Marquard beteuern, sie hätten den Aufsichtsrat „nachvollziehbar über die Kalkulation der Preise informiert, zumal dies unter der Prämisse geschah, wirtschaftlichen Schaden von den SWP, den Bestandskunden und somit auch von der Stadt abzuwenden.“ Allerdings gab es aus dem Aufsichtsgremium Kritik an den unzureichenden Informationen. „Mich hatte diese Preisgestaltung sehr überrascht“, sagte Aufsichtsratsmitglied Hans-Ulrich Rülke (FDP) am 19. Januar gegenüber Baden TV.

Diskussion über Neukundenaufschlag

Die Diskussion über die Rechtmäßigkeit von unterschiedlichen Tarifen für Neu- und Bestandskunden wird rege geführt. Kerstin Andreae vom Bundesverband der Wasser- und Energieversorger sieht in einem Pressestatement „unseriöse Billig-Anbieter“ am Werk, die „ihre Kundinnen und Kunden einfach im Regen stehen lassen.“ Kämen von dort tausende neuer Kunden, müsse der Grundversorger „extrem kurzfristig zu den Höchstpreisen an den Börsen sehr große Mengen zusätzlicher Energie beschaffen.“ Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke nahm dagegen gegenüber der F.A.Z. auch die Grundversorger in die Pflicht: Ein gewisser Aufschlag für Neukunden sei gerechtfertigt, aber keine Verdreifachung der Preise.

g.schilling@derneuekaemmerer.de

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