Die Weichen für eine Zukunft unseres Miteinanders und unseres Planeten zu stellen duldet keinen Aufschub. Die Stimme abzugeben reicht nicht. Die Gesellschaft selbst ist gefragt – und Kommunen haben bei dieser Weichenstellung ein besonderes Gewicht.

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Alles ist politisch. Jeden Tag jagt eine neue Sau durchs Dorf. Dabei sind die Kommunen über die Ohren mit nachhaltiger Ausrichtung, Digitalisierung und dem demographischen Wandel beschäftigt. Bemerkungen von Gabriele C. Klug, geschäftsführende Vorständin beim Grünen Wirtschaftsdialog e.V., zur neuen kommunalen Unübersichtlichkeit. Und wie es laufen könnte.

„Kinder an die Macht“ titelte die Süddeutsche vor einigen Wochen. Da waren in Berlin gerade 25.000 Jugendliche auf die Straße gegangen – Fridays for Future – und die Grünen empfingen auf ihrem bundesweiten Grundsatzkonvent eine Vertreterin der Jugendbewegung. Den Älteren fiel der Song des Bochumer Barden Herbert Grönemeyer aus den 80ern ein, der diese Forderung damals als Vision für eine friedlichere Welt aufgestellt hat.

Heute ist die existenzielle Seite dieser Forderung mit jedem Freitag klarer: Es kann nicht so weitergehen. Wir leben – als Gesellschaft und in unserer Wirtschaftsweise – in nicht mehr umkehrbarer Weise und ohne verbliebene/weitere/übrige Spielräume zulasten der Zukunft, unserer Kinder und Enkelkinder. Es gibt keinen Plan B, es gibt keinen Planeten B – wir müssen handeln. Jetzt. Das braucht Haltung, Werte und – Finanzen.

Handlungsbedarf in unseren Breitengraden

Existenziell geht es um die Frage, wie durch eine Haltung der Nachhaltigkeit unsere Lebensweise so umgestellt werden kann, dass die Menschheit auf dem Planeten eine Zukunft hat. Zu pathetisch? Nun, die „scientists for future“, die die Freitagsbewegung der Jugendlichen weltweit unterstützen, hätten an dieser Stelle sicher genügend Zahlenmaterial, um Sie zu überzeugen, liebe Leserinnen und Leser.

Ich muss gestehen, ich finde die von Wetterwissenschaftler Karsten Schwanke bestätigte Änderung der Wahrscheinlichkeit von extremen Dürren von einer in 245 Jahren (so war die Relation zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts) auf eine in acht Jahren (so die aktuelle Relation) konkret genug – vor allem zeigen die Erfahrungen des vergangenen Sommers den Handlungsbedarf auch in unseren Breitengraden. Noch nie seit den Wetteraufzeichnungen war ein Jahr im Durchschnitt so warm wie 2018 – nämlich 10,8 Grad C (alles nachzulesen im Interview von Dagny Lüdemann mit Schwanke auf Zeit online, 27. März).

Wir sind dran – so lautet der deutsche Titel des Berichts (2018, englisch: Come on!) des Club of Rome. Das müssen wir als politisch und in der Verwaltung Entscheidende als unsere Verantwortung annehmen.

Es wird Gewinner und Verlierer geben

Wir – das ist eine Gesellschaft, die in unserer Region der Welt von Aufklärung, Bildung und Rationalität beherrscht wird, in der Wohlstand herrscht und sich in allen Kreisen die Einsicht verbreitet, dass Wohlstand und Wachstum nur noch durch radikale Änderung unserer Lebens- und Wirtschaftsweise erhalten, bzw. herbeigeführt werden können. Der Ausstieg aus der Kohle ist ein wesentlicher Baustein, die Minderung des Plastikmülls, an dem die Meere ersticken, ein anderer.

Wir – in den Städten und auf dem Land halten den Schlüssel für die Änderung in der Hand – und es kommt darauf an, schnell und geschlossen die wesentlichen Maßnahmen für die Zukunft zu erkennen, über sie zu debattieren und sie umzusetzen. Die „Kohlekommission“ – eigentlich und treffender „Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ – hat mit ihrem gesellschaftlichen Kompromiss Maßstäbe gesetzt.

Es wird eine disruptive Entwicklung geben, Gewinner und Verlierer. Der Bedarf an einem moderierten Prozess ist groß.

Keine Pirouetten um Zuständigkeitsfragen

Heute leben wir in einer Zeit kolossaler, großer, vielleicht grandioser Umbrüche. Risiken, wohin der Blick fällt. Risiken vor dem Hintergrund der Umwelt- und Naturereignisse, der Klimakatastrophen in Teilen der Welt, der Millionen, die sich auf den Weg machen, in sicheren Regionen zu leben und unserer Unsicherheit, was all dies für unser Leben bedeutet. In dieser Welt sind es die Kommunen, die als direkte, fühlbare, benachbarte Verwaltungseinheit der Bürgerin und dem Bürger, citoyenne und citoyen, gegenübersteht. In der sie und er zur Gestaltung und politischen Mitwirkung aufgerufen ist.

Wo Demokratie auf ihre Krisenfestigkeit, Resilienz und Handlungsfähigkeit, nicht zuletzt auf ihre Innovationsfreude, getestet wird.

Demokratie – das beinhaltet dieses „wir“ – zu deren Kraft die Möglichkeit der Gestaltung gehört, auf allen Feldern, die dem Zusammenleben dienen. Egal, ob frühere Generationen sie als (im hoheitlichen Sinne) pflichtig oder freiwillig erachtet haben. Strukturpolitik ist gefragt und bedeutet, komplexe Fragen tatkräftig lösen zu können, nicht Pirouetten um Zuständigkeitsfragen zu drehen, weil das Gerücht im Raume steht, dadurch könne Geld gespart werden.

Inklusiv und Heimat für alle

Kommunen sind heute strukturell unterfinanziert. Ausgelagerte Schulden mindern die Kraft des Gebildes „Konzern Stadt“ – Kraft, die dringend benötigt wird, um komplexe Probleme holistisch, zielstrebig und unter Berücksichtigung der Wirkungen auf die Zivilgesellschaft zu lösen. Denken wir nur an den Kompromiss der „Kohlekommission”.

Mir hat das Selbstverständnis der deutschen Städte – inklusiv und Heimat für alle zu sein – immer gut gefallen. Jedweder Spaltung der Gesellschaft entgegenzutreten, Programme und Maßnahmen nach dieser Leitlinie auszurichten, ist die Grundlage für eine erfolgreiche Strukturpolitik in allen Regionen. Denn Heimat kann nur bleiben, was bewohnbar und lebenswert ist. Wealth, welfare, wellbeing – Wohlstand, soziale Sicherheit, Gesundheit. Eine praktische Anleitung also für eine wirkungsorientierte strategische Stadt- und Regionalentwicklung. Jetzt braucht es Instrumente, die Räte und Verwaltungen Programme und Maßnahmen, konkretisierte und personalisierte Planungen aus den Zielen ableiten lassen.

Ein Stimmrecht reicht nicht

Ich glaube nicht, dass sich da etwas entwickelt hat, das mit einem Stimmrecht zu befrieden ist. Das würde nicht reichen. Ich glaube, dass die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Politik einen Pakt abschließen müssen, durch den die heutigen Akteure den nachkommenden Generationen durch „Handeln, jetzt!“ eine faire Zukunft erschließen. Das Stimmrecht hilft sicher, aber die Gesellschaft selbst ist unmittelbar gefragt, nicht nur durch das Handeln Intermediäre im Parlament.

Städte und Stadtfinanzen haben dabei ein besonderes Gewicht, das zu Gehör gebracht und ernst genommen werden muss. Endlich. Sie haben auch eine besondere Verantwortung: Nachhaltigkeit ist die Haltung, die wir alle uns aneignen müssen. Städte und ihre Beteiligungen müssen sich hinsichtlich ihrer Budgets und Finanzanlagen fragen lassen: Wie wirkt das, was wir heute tun, in Zukunft? Welchen Beitrag können Wirtschaft und Gesellschaft leisten, wo hilft Co-Creation? Welchen Rahmen kann Politik schaffen? Was ist die Grundlage für eine neue, gute und nachhaltige Governance, für eine transparente Kommunikation in die Stadtgesellschaft, für ein stabiles finanzpolitisches Rückgrat im „Konzern Stadt“, und – last but not least – für eine strategische Regionalentwicklung, die nachhaltigen Wohlstand, Wohlbefinden und Sicherheit bringt? Und auch diesmal: Regionen und Kommunen müssen das tun – neben den zahlreichen täglichen Herausforderungen. Das gehört jetzt dazu, um die Gesellschaft zusammenzuhalten.

Come on – wir sind dran.

klug(*)g-wd(.)de

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