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Verschuldete Kommunen sind selbst schuld an ihrer Finanzmisere, weil sie das Geld der Steuerzahler zuvor mit vollen Händen ausgegeben haben? Kommunen, die an der Steuerschraube drehen, werden für Bürger und Unternehmen noch unattraktiver und schaufeln sich so ihr eigenes Grab? Im DNK-Blog stellt Manfred Busch, ehemaliger Stadtkämmerer von Bochum, gängige Thesen wie diese auf den Prüfstand. Vieles, was oftmals unhinterfragt als objektiv und wahr hingenommen wird, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als interessengeleitet, ist Busch überzeugt.
Zahlreiche Kommunen konnten in der Vergangenheit ihre Haushalte nicht ausgleichen; sie mussten ihre Defizite über Kassenkredite finanzieren. Bundesweit summieren sich diese „unechten“ Kassenkredite, die nicht dem Ausgleich von Zahlungsspitzen dienen, auf rund 41 Milliarden Euro. Dies sind reine „Altlasten“ – anders als Investitionskredite, denen Werte gegenüberstehen. Die entsprechenden Zinslasten verringern die Spielräume zur Bewältigung der eigentlichen Aufgaben, der Daseinsvorsorge. Die zu erwartende Zinswende würde dieses Problem noch weiter verschärfen.
Das Problem ist bekannt – aber einer Lösung stehen starke Vorbehalte entgegen. Zunächst einmal: Sind die Betroffenen nicht selbst schuld? Sind die exorbitanten Schulden nicht vor allem durch eigenes Fehlverhalten oder durch Fehlentscheidungen entstanden? Wenn Haushaltsergebnisse von Kommunen trotz vergleichbarer struktureller Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich sind – so eine Behauptung –, wären Entschuldungsprogramme geradezu kontraproduktiv: Sie würden Fehlverhalten belohnen und damit noch verstärken. Im Gegenteil seien Sanktionen erforderlich – gegen handelnde und verantwortliche Personen auch strafrechtlich und gegen die Institution zum Beispiel durch Einführung einer Insolvenzfähigkeit à la Schweiz. Dies würde zumindest zukünftiges Fehlverhalten verhindern und positive Anreize für eine Verbesserung der finanzpolitischen Kultur setzen …
Unterschiedliches Engagement der Länder
Natürlich: Jeder kennt (mindestens) eine Stadt, in der es nicht so läuft, wie es laufen sollte. Aber erstens sind dies oft auch Gemeinden, die den „relativ reichen“ zuzuordnen sind. Und zweitens ist die Zuspitzung der sozioökonomischen Probleme in altindustrialisierten, strukturschwachen Regionen wie den (Steinkohle-) und zukünftig auch den Braunkohleregionen und den Globalisierungsverlierern wie beispielsweise Pirmasens (Schuhindustrie) nun doch unübersehbar. Der für die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zuständige Bund hat hier wenig geholfen, die finanziellen Probleme durch Anhebung von Standards zu Lasten der Kommunen eher noch verschärft. Die Bundesländer zeigten und zeigen sehr unterschiedliches Engagement, ihre Kommunen finanziell aufgabenadäquat auszustatten und einen hinreichenden interkommunalen Ausgleich sicherzustellen.
Sozioökonomische Disparitäten sind nicht nur ungerecht, sondern auch gesellschaftlich und politisch destabilisierend.
Bereits im Jahre 2011 hatte das Bundesamt für Bauwesen, Stadtentwicklung und Raumordnung (BBSR) „stark ungleichgewichtige Lebensverhältnisse“ festgestellt. Kategorien hierzu waren Demografie, Wirtschaftskraft, Arbeitsmarkt, Wohlstand, Infrastruktur und Wohnungsmarkt. Sind zunehmende Disparitäten notwendige Begleiterscheinungen eines gesamtgesellschaftlich vorteilhaften starken Wirtschaftswachstums, das durch Konzentration knapper (auch öffentlichen) Ressourcen auf die Regionen/Kommunen mit den besten Produktionsbedingungen entsteht?
Diese These ist umstritten, aber auch nicht entscheidend. Bei uns gibt es – im Gegensatz zum angelsächsischen Raum – einen im Grundgesetz kodifizierten gesellschaftlichen Konsens. Es sollen „gleichwertige“ (nicht: gleichartige) Lebensverhältnisse in Deutschland gelten. Sozioökonomische Disparitäten sind nicht nur ungerecht, sondern auch gesellschaftlich und politisch destabilisierend. Das ökonomische Wachstumsziel steht nicht allein – es hat sich auch am regionalen Ausgleichsziel zu messen.
Günstige Rahmenbedingungen
Disparitäten können bekämpft werden – Instrumente gibt es viele: die Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur und die Ansiedlung öffentlicher Einrichtungen, eine verbesserte Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsstruktur“, eine Intensivierung der kommunalen Finanzausgleiche und kommunale Entschuldungshilfen von Bund und Ländern. Letzteres hatte Nordrhein-Westfalen, das allein für rund 58 Prozent aller kommunalen Kassenkredite steht, mit seinem „Stärkungspakt-Gesetz“ 2011 auf den Weg gebracht. Inzwischen weisen die meisten hoch verschuldeten NRW-Kommunen (fast) ausgeglichene Haushalte auf. Allerdings dürfte dies nicht nur dem harten Sparkurs, sondern vor allem auch der hervorragenden Konjunktur- und Beschäftigungslage bei einem Niedrigstzinsniveau zu verdanken sein.
Sowohl im Schwarz-Roten Koalitionsvertrag auf Bundesebene vom Februar 2018 als auch im Schwarz-Gelben Koalitionsvertrag in NRW vom Juni 2017 finden sich nur vage Hinweise auf die Schuldenproblematik. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass es in der politischen Debatte noch keinen Konsens gab. Insbesondere auf Bundesebene werden die kommunalen Altschulden immer noch vor allem als ein Problem der betroffenen Bundesländer bzw. eines speziellen Bundeslandes – Nordrhein-Westfalen – begriffen. Die Bundesregierung hat inzwischen eine Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ eingesetzt, deren Arbeitsgruppe 1 sich mit der Entschuldung der Kommunen auseinandersetzt. Ergebnisse sollen spätestens im Mai 2019 vorliegen.
Entschuldung ist machbar
Eine „durchgreifende Entschuldung“ wird nur zustande kommen, wenn die politischen Akteure zum einen von Notwendigkeit, Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit, zum anderen aber auch von der Machbarkeit überzeugt sind. Dazu folgende Eckdaten und Ergebnisse:
· Aktuell refinanziert sich der Bund auch bei Laufzeiten über 20 Jahren zu unter einem Prozent.
· Der Bund bringt seine hervorragende Bonität in das kommunale Entschuldungsprogramm ein.
· 30 Jahre (eine Generation) sind ein angemessener Tilgungszeitraum.
· Die jährliche Belastung beträgt dann insgesamt rund 1,6 Milliarden Euro über 30 Jahre – ein großes Annuitätendarlehen zur vollständigen Tilgung der „unechten“ Kassenkredite (rund 41 Milliarden Euro).
· Bei einer Drittelung zwischen Bund, Ländern und betroffenen Gemeinden müsste jede Ebene bundesweit rund 540 Millionen Euro aufbringen.
· Auf NRW entfielen rund 630 Millionen Euro. Nimmt man die heutigen Stärkungspaktmittel des Landes (350 Millionen Euro) und die kommunalen Zinszahlungen, die künftig entfallen würden (rund 240 Millionen Euro), dann erscheint diese Größenordnung gut erreichbar.
Damit ist die Machbarkeit einer Maßnahme belegt, die eine der wichtigsten finanziellen Fehlentwicklungen der letzten 30 Jahre korrigieren könnte.
Sobald die Zinswende tatsächlich eintritt, wird es eng für die betroffenen Städte, aber auch eng für eine Lösung: Bei einem Anstieg auf frühere Niveaus (beispielsweise 3 Prozent für kurzfristige Schulden) stiege der erforderliche Jahresbetrag von 1,6 Milliarden schnell auf deutlich über 2 Milliarden Euro pro Jahr. Jetzt besteht noch eine historische Chance – sie sollte rechtzeitig genutzt werden!
Info
Zum Weiterlesen:
Südekum, Jens, u.a.: Verlierer(-regionen) der Globalisierung in Deutschland: Wer? Warum? Was tun?, Düsseldorf, Dezember 2016
Heinrich-Böll-Stiftung: Geteiltes Land. Strategien für mehr Zusammenhalt, Berlin 2015
Busch, Manfred: Projekt Neustart. Qualifizierung und Quantifizierung eines Vorschlags zur Entschuldung der Kommunen, Düsseldorf, November 2018
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Ab sofort bloggen Experten aus der kommunalen Familie auf DNK online zu aktuellen Trends und Themen.