Die Altschuldenproblematik treibt Kämmerern weiter Sorgenfalten auf die Stirn. Unser Kolumnist erklärt, wie man die Ursachen der Kassenkredit-Verschuldung ermitteln und letztlich bekämpfen kann.

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Verschuldete Kommunen sind selbst schuld an ihrer Finanzmisere, weil sie das Geld der Steuerzahler zuvor mit vollen Händen ausgegeben haben? Kommunen, die an der Steuerschraube drehen, werden für Bürger und Unternehmen noch unattraktiver und schaufeln sich so ihr eigenes Grab? Im DNK-Blog stellt Manfred Busch, ehemaliger Stadtkämmerer von Bochum, gängige Thesen wie diese auf den Prüfstand. Vieles, was oftmals unhinterfragt als objektiv und wahr hingenommen wird, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als interessengeleitet, ist Busch überzeugt.

Es klingt zunächst etwas sperrig: Die regionale langfristige Beschäftigungsentwicklung wird durch sektorale und regionale Besonderheiten im globalen Wettbewerb determiniert.  Diese Ergebnisse aktueller Studien haben aber erhebliche Relevanz für die Beurteilung der Entstehung von Kassenkrediten und die künftige Vermeidung von diesen.

Offenbar gibt es bezüglich der Globalisierung „Verliererregionen“ und „Gewinnerregionen“, die aus lokaler Perspektive nicht verantwortlich sind für ihre jeweilige Situation – weder im positiven noch im negativen Sinne. Kaum jemand wird wohl behaupten, die Kommunen des Ruhrgebiets seien verantwortlich für den Niedergang der Kohle- und Stahlindustrie in der Region oder Pirmasens könne etwas für die Auflösung der Schuhindustrie. Auch zukünftig liegt die Verantwortlichkeit für die Automobilindustrie in erster Linie bei ihr selbst und in zweiter Linie bei der nationalen und europäischen Wirtschafts- und Handelspolitik, nicht aber bei den Standortkommunen.

Beschäftigung erklärt Löwenanteil der Kassenkredite

„Gewinne“ und „Verluste“ werden über die Beschäftigungsentwicklung gemessen. Dies ist der ökonomische Schlüssel zu Prosperität und Wohlstand, der sowohl auf die soziale Lage als auch auf die Steuerkraft wirkt. Die langfristige Beschäftigungsentwicklung wiederum erklärt ökonometrisch – jedenfalls für NRW – mit 64 Prozent auch den Löwenanteil der jeweiligen Höhe der Kassenkredite, die den kumulierten Finanzierungsdefiziten der Vergangenheit entsprechen. Dieser Zusammenhang lässt sich schon rein optisch der nachfolgenden Grafik 2 entnehmen: Alle hoch verschuldeten Kommunen in NRW liegen im Minusbereich der Beschäftigungsentwicklung seit 1978.

Wenn aber richtig ist, dass Kassenkredit-Verschuldung im Wesentlichen Ergebnis grundlegender ökonomischer Entwicklungstrends ist, die von den betroffenen Kommunen kaum zu beeinflussen sind, dann kann eine Entschuldung heute – so wichtig sie ist – auch nicht eine Neuverschuldung für alle Zukunft verhindern.

Diese ernüchternde Erkenntnis wird noch durch einen weiteren Befund gestützt, der sich ergibt, wenn Finanzkraft und Soziallast der Kommunen in NRW einander gegenübergestellt werden – nach (!) Umsetzung des kommunalen Finanzausgleichs. „Finanzkraft“ wird hier definiert als normierte Steuerkraft plus erhaltene Zuweisungen pro Einwohner, „Soziallast“ als Sozialleistungen plus Jugendhilfe plus Landschaftsverbandsumlagen pro Einwohner.

Finanzkraft minus Soziallast ergibt ein – exogen determiniertes – kommunales „Budget“, das zur Bewältigung aller übrigen kommunalen Aufgaben (außer Soziales) reichen muss und als Messlatte dienen kann. Liegt das Budget einer Kommune weit unter dem Durchschnitt, entsteht ein Zwang zur Defizitfinanzierung über Kassenkredite, weil ein längerfristiges Unterschreiten des weitgehend standardisierten kommunalen Leistungsniveaus nicht durchhaltbar ist.

Folgende Grafik zeigt diesen Zusammenhang für die fünf Jahre nach der Finanzmarktkrise anhand der Daten für Nordrhein-Westfalen. Die gestrichelte Linie kennzeichnet alle Budgets mit 10 Prozent über dem Durchschnitt, die gepunktete Linie alle Budgets 10 Prozent unterhalb des Durchschnitts.

Kommunaler Finanzausgleich genügt nicht

In dieser Grafik liegen alle heute hochverschuldeten Kommunen weit rechts von der 90-Prozent-Finanzausstattung. Offensichtlich reicht der kommunale Finanzausgleich (in NRW das Gemeindefinanzierungsgesetz) bei weitem nicht aus, die finanziellen Disparitäten auch nur halbwegs auszugleichen; selbst mit Anhebung ihrer Hebesätze auf bislang nicht gekannte Größenordnungen kann es diesen Städten jedenfalls in einer Krisenphase nicht gelingen, den finanziellen Anschluss zu halten.

Anders ausgedrückt: Um in dieser Phase nach der Finanzkrise alle Kommunen wenigstens auf ein Niveau von (nur) 85 Prozent des Durchschnitts zu bringen, wären damals rechnerisch rund 600 Millionen Euro direkte Unterstützungsleistungen pro Jahr erforderlich gewesen.

Die Arbeitsgruppe „Kommunale Altschulden“ der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ hat viele konstruktive Vorschläge zur Lösung der kommunalen Altschuldenproblematik zusammengetragen. Natürlich fordern Länder und kommunale Spitzenverbände eine Erhöhung der Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft vor dem Hintergrund, dass vor allem steigende Soziallasten ursächlich für Verschuldung seien.

Im DNK-Blog stellt Manfred Busch, ehemaliger Stadtkämmerer von Bochum, gängige Thesen wie diese auf den Prüfstand. Vieles, was oftmals unhinterfragt als objektiv und wahr hingenommen wird, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als interessengeleitet, ist Busch überzeugt.

Dies greift der Bund leider nicht auf – er betont in seinem Beitrag die Rolle des kommunalen Finanzausgleichs (KFA) der jeweiligen Länder, um dem erneuten Aufbau von Kassenkrediten entgegenzuwirken, indem besondere finanzielle Belastungen von Kommunen – insbesondere bei Strukturproblemen – „durch eine höhere Finanzausgleichsmasse, eine stärkere Berücksichtigung interkommunaler Disparitäten oder zusätzliche Zuweisungen des Landes begegnet wird“.

Politik kann Unterschiede nicht verhindern

Die Prüfung dieser aktuell diskutierten Entlastungswege – Aufstockung der Bundesbeteiligung einerseits, Aufstockung der Gemeindeschlüsselmasse im GFG andererseits – am Beispiel Nordrhein-Westfalens nach der Finanzkrise zeigt, dass diese zwar geeignet sind, die durchschnittliche finanzielle Lage der Kommunen zu verbessern. Sie verringern aber kaum die Disparitäten, also den Abstand „zwischen Herdplatte und Kühlschrank“.

Konkret gerechnet: Wäre in der Finanzmarktkrise die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft um 400 Millionen Euro und die Gemeindeschlüsselmasse NRW ebenfalls um 400 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt worden, hätte sich der oben genannte Ausgleichsbedarf (als Mindest-Finanzausstattung von 85 Prozent des Durchschnitts) gerade einmal halbiert, wäre also von rund 600 auf fast 300 Millionen Euro pro Jahr gesunken. Anders ausgedrückt: Trotz 800 Millionen Euro zusätzlich in der NRW-Gemeindefinanzierung wären die Disparitäten und damit der Zwang zur Defizitfinanzierung über Kassenkredite dramatisch geblieben.

Wenn sich eine Wirtschaftskrise wie 2008 wiederholen würde, wäre eine erneute Kassenkredit-Verschuldung kaum zu vermeiden.

Niemand glaubt, dass die regionale und sektorale Wirtschaftspolitik drastische Beschäftigungsunterschiede heute oder in Zukunft verhindern könnte. Wenn sich eine Wirtschaftskrise ähnlichen Ausmaßes wie die nach 2008 wiederholen würde, wäre eine erneute Kassenkredit-Verschuldung kaum zu vermeiden. Wenn Vorsorge nicht funktioniert, dann bleibt nur die Nachsorge – also die Forderung nach einem stärkeren regionalen Disparitäten-Ausgleich, den der kommunale Finanzausgleich in seiner heutigen Form (Gemeindefinanzierungsgesetze) nicht leisten kann.

Die allgemeine Verbesserung der Kommunalfinanzen durch Bund und Land ist wichtig, reicht aber insbesondere in Krisenzeiten nicht aus. Dann ist zusätzlich auch der Einsatz von direkten Landeszuweisungen an die finanzschwachen Gemeinden erforderlich, gegebenenfalls verstärkt durch einen horizontalen kommunalen Finanzausgleich von Globalisierungsgewinnern zu Globalisierungsverlierern, organisiert über eine Abundanz-(Solidaritäts-)Umlage. Diese Ausgleichszahlungen könnten und sollten dann – analog dem Vorgehen im heutigen Stärkungspakt NRW – an den Verzicht auf neue Kassenkredite gekoppelt werden.

Nur so würde glaubwürdig, dass künftig keine Kassenkredit-Verschuldung mehr erfolgt – und damit wäre das einzige noch wesentliche Argument gegen die eigentlich historisch preiswerte Kassenkredit-Entschuldung entkräftet.

redaktion(*)derneuekaemmerer(.)de

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