Herr Vorjohann, nach 16 Jahren Tätigkeit als Beigeordneter der Landeshauptstadt Dresden wurden Sie vor knapp zweieinhalb Jahren zum Staatsminister gewählt. Wie hat der Wechsel vom Rathaus an die Spitze des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen Ihre Sicht auf die Dinge geändert?
Zunächst einmal blicke ich tatsächlich ganz neu auf Dresden, denn für den Wechsel vom Rathaus ins Ministerium musste ich die Elbseite wechseln. Und auch der Blick aus dem Fenster ist gänzlich anders: Während ich früher auf einen Parkplatz schaute, blicke ich jetzt auf die wunderbare Silhouette der Altstadt. Da sind die Brühlsche Terrasse, das Schloss, die Frauenkirche und die sogenannte Zitronenpresse, das Gebäude der Kunstakademie. Das ist wirklich ein tolles Bild. Da habe ich mich verbessert! Und wenn ich mal einen Moment Zeit habe, kann ich sogar auf meinen Balkon treten und den Ausblick genießen. Allerdings komme ich selten dazu. Das Arbeitspensum ist enorm.
Über Langeweile haben Sie während Ihrer Amtszeit als Beigeordneter wahrscheinlich auch selten geklagt. Wie haben Sie den Wechsel von der Stadt Dresden zum Land erlebt?
Die Arbeit ist härter geworden. Das muss ich schon klar sagen. Das liegt daran, dass auf der Landesebene stärker gerungen wird, als es in Kommunen üblich ist – vor allem wenn man in der Regierung eine Dreierkonstellation hat, wie es bei uns der Fall ist. Natürlich kenne ich durchaus lebendige Diskussionen auch noch vom Dresdener Stadtrat. Aber die Gemeindeordnung ist von ihrer konstitutionellen Seite her etwas anderes als eine Landesregierung.
Nun sind Sie ja mit Ihrem Amtsantritt als Sächsischer Staatsminister der Finanzen am 20. Dezember 2019 auch nur wenige Wochen vor Ausbruch der Pandemie gestartet.
Ja, wir hatten uns in der neuen Konstellation noch gar nicht richtig zusammengefunden, da war plötzlich schon alles anders. Im März 2020 kam Corona, und als Erstes mussten wir eine Notoperation am Haushalt durchführen. Als Nächstes wurden der sogenannte Coronabewältigungsfonds aufgelegt und dazu ein Nachtragshaushalt verabschiedet und Kreditermächtigungen eingeräumt. Ich muss schon sagen, das war für mich etwas schwierig, weil der Freistaat auf seine solide Haushaltpolitik zu Recht sehr stolz war. Vor diesem Hintergrund fiel es mir wirklich nicht leicht, zum Instrument des Kredits zu greifen. Das war aber natürlich notwendig, und deshalb haben nicht nur wir, sondern auch alle anderen Länder so gehandelt.
Diskussion über den Umgang mit Schulden
Zu Ihrer Zeit als Beigeordneter für Finanzen haben Sie an der Entschuldung Dresdens mitgewirkt. Nun mussten Sie für das Land 6 Milliarden Euro aufnehmen. Steht das Thema Entschuldung jetzt wieder oben auf Ihrer Agenda?
Ich bin ganz froh, dass es aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung nicht notwendig sein wird, die 6 Milliarden Euro aus dem Coronabewältigungsfonds vollständig in Anspruch zu nehmen, aber 3,5 Milliarden werden es schon werden. Wie wir damit umgehen, müssen wir noch sehen. Es gibt dazu in Sachsen eine sehr intensive Diskussion. Grundsätzlich müssen wir nach spätestens acht Jahren die Schulden getilgt haben. Die ersten beiden Jahre sind tilgungsfrei, so dass uns faktisch dafür nur sechs Jahre zur Verfügung stehen. Das ist durchaus ambitioniert, und deshalb gibt es auch Stimmen, die eine Verlängerung der Tilgungszeiten fordern. Allerdings mahne ich an, dass dann schon wieder die nächsten Krisen kommen können. Deswegen kann man sich für die Tilgung auch nicht zu lange Zeit nehmen.
„Dass wir so schnell mit der nächsten Krise konfrontiert sein würden, damit konnte keiner rechnen.“
Tatsächlich befinden wir uns doch bereits in der nächsten Krise, und die finanziellen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs sind noch nicht absehbar.
Dass wir so schnell mit der nächsten Krise konfrontiert sein würden, damit konnte keiner rechnen. Allerdings gibt es die These, dass alle zehn Jahre eine Großkrise entsteht. Das ist die berühmte Schwarze-Schwan-Theorie, die seit der Staatsschuldenkrise en vogue ist. Deshalb sollten wir die Kredite, die wir über den Notmechanismus aufgenommen haben, in einem überschaubaren Zeitraum tilgen. So ehrgeizig, wie sich die acht Jahre für viele auch anhören: Diese landesrechtliche Vorgabe hat im Kern doch Substanz. Man muss sehen, dass man seine Ausgabenpolitik am Ende nicht bis nach oben ausreizt, sondern Möglichkeiten hat, zwischendurch wieder Luft zu holen. Und das heißt auch: Wir müssen tilgen, bevor es in die nächste Krise geht.
Zinsen müssen jetzt wieder steigen
Abgesehen von der Gefahr weiterer Krisen erhöht sich doch auch bereits der Druck durch die nun eingeleitete Zinswende. Wie sehen Sie das als Finanzminister?
Ich denke, dass die Zinswende kommen musste. Denn mit der langjährigen Niedrigzinsphase ist unsere klassische Anreizstruktur verlorengegangen. Die Zinspolitik war so, dass man Geld dazu bekommen hat, wenn man Kredite aufgenommen hat. Doch wie Milton Friedman schon sagte: „There is no such thing as a free lunch“. Am Ende war diese verrückte Welt nicht durchhaltbar. Die Zinsen müssen jetzt wieder steigen. Zwar haben nun viele Angst, dass die Zinswende die Konjunktur abwürgen könnte. Letztendlich geht es hier aber um Preisstabilität.
„Glücklicherweise konnte die kommunale Ebene ihre Schulden ganz erheblich reduzieren. Damit sind Städte und Gemeinden widerstandsfähiger geworden.“
Und es wird darum gehen, den Schuldendienst wieder im Haushalt einzuplanen. Viele Kämmerer blicken mit größtem Respekt auf diese Herausforderung.
Glücklicherweise konnte die kommunale Ebene ihre Schulden ganz erheblich reduzieren. Damit sind Städte und Gemeinden widerstandsfähiger geworden. Wenn wir nun jedoch auf der Landesebene für jede Milliarde demnächst echte Zinsen zahlen müssen, dann sieht das Bild schon etwas anders aus. Insofern ist jeder Euro, den ich nicht als Kredit aufnehmen muss, eine gute Absicherung für die Zukunft.
Sämtlichen Prognosen nach müssen wir jedoch mit einem deutlich geringeren Wirtschaftswachstum und damit auch mit rückläufigen Steuereinnahmen rechnen. Wird der Staat angesichts dieser Rahmenbedingungen in der Lage sein, die geplanten Zukunftsinvestitionen zu tätigen? Oder müssen alle den Gürtel enger schnallen?
Wenn man sich die Zahlen der vergangenen Jahrzehnte anschaut, ist das eine ziemlich absurde Debatte. Man sieht das auch an der Diskussion um die Militärausgaben. Nach dem Kalten Krieg hat der Bund den Anteil an Verteidigungsausgaben am Gesamthaushalt massiv zurückgefahren. Aber interessanterweise ist unsere Infrastruktur trotzdem nicht gerade in einem hervorragenden Zustand.
Friedensdividende ist in Sozialpolitik geflossen
Warum ist das so? Wo ist das Geld geblieben?
Die Antwort ist klar: Es ist fast ausschließlich in sozialpolitische Maßnahmen gegangen. Die Friedensdividende ist in die Sozialpolitik geflossen, und auch die Mittel aus unseren Wachstumserfolgen gingen in die Sozialpolitik. Warum ist das so? Ganz einfach, weil mit Sozialpolitik Wahlkämpfe bestritten werden. Davon nehme ich meine eigene Partei, die CDU, auch nicht aus. Es gibt regelrechte Überbietungswettbewerbe in Wahlkämpfen, und in der Regel tragen die Parteien sie über sozialpolitische Maßnahmen aus. Ich freue mich da auch für alle, die davon profitiert haben. Allerdings kann man sich nicht anschließend weinend hinstellen und sagen, dass das Geld für Infrastrukturinvestitionen fehlt. Wenn man vorher die Kassen plündert, dann sind sie leer. Dann muss man sozialpolitisch umsteuern. Tut man dies nicht und nimmt stattdessen Kredite auf, ist das absurd. Denn damit verlagert man die Last einfach auf künftige Generationen. Sätze wie „Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen“ sind nach wie vor richtig.
„Leider neigen Politiker dazu, auf Kosten der Zukunft Wahlkampfprogramme zu gestalten, und das soll ja mit der Schuldenbremse verhindert werden.“
Das heißt, Sie unterscheiden in der Bewertung von Schulden nicht nach ihrer Verwendung?
Nein, ich halte nichts davon, dass man die Staatsschulden für eine höhere Investitionstätigkeit ausbaut. Vielmehr sollten wir an der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse festhalten. Ansonsten öffnen wir Tür und Tor für Verteilungsschlachten. Leider neigen Politiker dazu, auf Kosten der Zukunft Wahlkampfprogramme zu gestalten, und das soll ja mit der Schuldenbremse verhindert werden. Nach der Finanzkrise hatten wir die Errungenschaft, dass alles, was versprochen wurde, vom laufenden Steueraufkommen bezahlt werden musste. Ein Leben auf Pump war nicht erlaubt. Das versuchen jetzt wieder einige zu ändern, und das finde ich unanständig. Das Verteidigungsthema nehme ich da allerdings raus. Das ist eine spezielle Herausforderung, wegen der man sehr schnell agieren muss. Alles andere muss über das Steueraufkommen bezahlt werden.
Sehen Sie denn bei den sächsischen Kommunen noch Möglichkeiten des Umsteuerns, um zusätzliche Mittel für investive Zwecke freizumachen?
Ich denke, dass die Grundstruktur in Sachsen sehr vernünftig ist. Auch die Stimmung zwischen den Kommunen und dem Freistaat ist sehr gut. Das hat zuletzt noch das Fachsymposium „Kommunaler Finanzausgleich“ gezeigt. Grundsätzlich sind die sächsischen Kommunen auch gut durch die Krise gekommen. Das heißt, sie haben eine Finanzausstattung, die ihnen ein hohes Investitionsniveau ermöglicht. In der Krise sind die kommunalen Investitionsausgaben sogar noch um 2 Prozent gestiegen, und ich denke, das ist ein gutes Ergebnis.
Neuausrichtung der Förderpolitik
In diesem Zusammenhang spielt die Förderpolitik auch eine zentrale Rolle. Jedoch wird ein erheblicher Anteil der Gelder, die der Bund und die Länder bereitstellen, gar nicht abgerufen. Mit der Förderkommission II arbeiten Sie an der Neuausrichtung der Förderpolitik. Wo liegen die Probleme?
Das ist ein weites Feld. Wir haben jetzt 2.000 Fördergegenstände in gut 170 Richtlinien. Sie sind unter anderem dadurch entstanden, dass jeder neue Koalitionspartner, der hinzukommt, seine Akzente setzen möchte. Das geschieht dann leider oftmals über Förderprogramme. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass in der Auseinandersetzung innerhalb der Ministerien und mit der Politik Fördermittel zu einer Art Währung geworden sind. Dem versuchen wir jetzt mit der Förderkommission entgegenzuwirken, aber das ist nicht leicht, denn die Existenzgrundlage vieler in der Staatsregierung ist es, Förderprogramme in die Welt zu setzen. Der Beschenkte freut sich natürlich immer.
Aber wenn wir von den Kommunen als „Beschenkte“ sprechen: Es gibt dort viele, die eine bessere Grundausstattung einer zweckgebundenen Förderung vorziehen würden.
Ja, natürlich. Die Diskussion führen wir auch hier in Sachsen. Da gibt es die Forderung, einfach mal 20 Prozent aller Förderprogramme einzustellen und die daraus gewonnenen Mittel in das Finanzausgleichssystem einzuspeisen. Das Argument ist durchaus nachvollziehbar: Auf diesem Wege möchte man die dezentrale Verantwortung stärken. Den Grundsatz halte ich auch nicht für verkehrt, denn die Bürgermeister und Gemeinderäte wissen um die Bedürfnisse vor Ort sicherlich besser Bescheid als die Verantwortlichen in den Ministerien, die mit ihrem goldenen Zügel die Richtung vorgeben. Aber die Fachressorts müssten dann „verzichten“. Ich ahne, dass die Diskussion ins Leere gehen würde.
„Ich denke, dass die Förderung, aus der kommunalen Perspektive betrachtet, gar nicht so schlecht ausgestattet ist.“
Das heißt, im Grunde würden Sie den Abbau von Förderprogrammen zugunsten einer höheren finanziellen Grundausstattung der Kommunen unterstützen?
Ganz so würde ich das nicht unterschreiben. Ich denke, dass die Förderung, aus der kommunalen Perspektive betrachtet, gar nicht so schlecht ausgestattet ist. Die Förderprogramme fallen ja auch nicht vom Himmel. Daran sind Kommunen oftmals beteiligt. Deshalb gibt es durchaus auch auf der kommunalen Ebene Vertreter, die an allem festhalten wollen. Ein Grund dafür ist auch, dass sie am Ende nicht wissen, ob diese höhere Pauschale aus dem Finanzausgleich lokal bei ihnen ankommt. Beim Förderprogramm hingegen weiß man, was man hat. Insofern müssten sich die Kommunen erst mal sortieren und darüber abstimmen, was sie eigentlich wollen.