Die Schweizer Hauptstadt Bern hat sich über Jahre Geld bei der FIFA geliehen. Wie kam es dazu? Ein Gespräch mit Berns Finanzdirektor Michael Aebersold.

Die Stadt Bern und ihre städtischen Töchter haben in den Jahren 2017 bis 2022 insgesamt 35 kurzfristige Darlehen bei der Fifa aufgenommen. Wie ist die Idee entstanden, die Fifa als Darlehensgeberin einzusetzen?
Zunächst ist mir wichtig zu betonen, dass die Stadt Bern nicht als einzige Kommune Darlehen bei der Fifa aufgenommen hat. Wir wählen unsere Darlehensgeber nach gewissen Kriterien aus: Die jeweilige Organisation muss ihren Sitz in der Schweiz haben und die Offerte muss in Schweizer Franken erfolgen. Dann vergleichen wir den All-in-Preis: Zinsen inklusive Gebühren. In diesen Fällen hat die Fifa uns über die Plattform Loanboox die besten Angebote gemacht, die wir dann auch angenommen haben.

Die Kredite hatten ein Gesamtvolumen von rund 1,8 Milliarden Franken. Die Stadt hat zudem 3,1 Millionen Franken Negativzinsen kassiert, das entspricht einer durchschnittlichen Verzinsung von gut 1,7 Prozent. Können Sie etwas zu den Details der einzelnen Darlehen sagen?
Die einzelnen Finanzierungen hatten eine Dauer von zwei bis sechs Monaten und einen Umfang von 20 bis 100 Millionen Franken mit Zinssätzen zwischen –0,85 und –0,03 Prozent. Der Großteil des Geldes diente der Absicherung langfristiger Darlehen, 225 Millionen Franken haben wir für die Liquiditätssicherung aufgenommen.

Laufen bei Ihnen alle Finanzierungen über die digitale Plattform?
Wir machen natürlich auch Direktanfragen bei unseren Hausbanken. Gerade kurzfristige Finanzierungen laufen aber teilweise über die Plattform.

War Ihnen schon vorher bekannt, dass die Fifa als Darlehensgeberin für Kommunen auftritt?
Nein, das haben wir erst dadurch erfahren, dass die Fifa sich auf unsere Ausschreibung gemeldet hat.

Kommunalkredite: „Wir waren immer transparent“

War Bern die erste Kommune in der Schweiz, die Kreditgeschäfte mit der Fifa gemacht hat?
Wer wann wie viel Geld bei der Fifa aufgenommen hat, weiß ich nicht. Ich gehe aber davon aus, dass andere Kommunen ihre Darlehen mit der Fifa zu einem ähnlichen Zeitpunkt abgeschlossen haben, weil Loanboox mit seinem Start 2017 offenbar die Eintrittstür für die Kommunalfinanzierungen der Fifa war.

Schweizer Medien haben Anfang dieses Jahres die Darlehen zwischen der Fifa und mehreren Kommunen aufgegriffen, die Berichte haben einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. War die Tatsache, dass die Fifa die Stadt finanziert, nicht von Anfang an eine öffentlich zugängliche Information?
Wir waren immer transparent. Die Darlehen der Stadt sind in den Jahresberichten aufgelistet und diese können Sie auf unserer Website finden. Zum Zeitpunkt der ersten Vertragsabschlüsse bin ich aber nicht darauf angesprochen worden.

Dass die Fifa sich als Geldgeberin im öffentlichen Umfeld positioniert, erscheint gelinde gesagt ungewöhnlich. Mussten Sie im Vorfeld juristische Fragen in Bezug auf die Eigenschaft der Fifa als Kreditgeberin klären?
Wie gesagt, wir haben rechtmäßig gehandelt, mit Kriterien, an die wir uns gehalten haben. Wir haben nichts getan, was wir nicht hätten tun dürfen. Es gab auch Diskussionen um mögliche Geldwäsche. Aber die Fifa ist ja nicht mit dubiosen Geldern im Koffer auf uns zugekommen, sondern die Gelder sind von einer Schweizer Bank an eine andere Schweizer Bank geflossen. Und woher die Fifa ihre Gelder hat, kann man googeln: Ein großer Teil der Einnahmen kommt von den Übertragungsgebühren staatlicher Fernsehsender.

„Die Kritik hat sich verschärft“

Hatten Sie denn keine ethischen Bedenken, Geld von der Fifa anzunehmen?
Mit der Weltmeisterschaft in Katar hat sich die Kritik verschärft. Natürlich gab es im Zusammenhang mit den Todesfällen beim Bau der Stadien die Diskussion, ob die Geschäfte ethisch vertretbar sind. Die Fifa ist aber nie als Organisation angeklagt oder verurteilt worden, deshalb hatten wir sie nicht auf die Blacklist gesetzt, aber, wie gesagt, wir werden unsere Praxis überprüfen.

Die Fifa hatte auch schon vor der WM in Katar ein gewaltiges Imageproblem, unter anderem im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland. Hatten Sie keine Sorge vor negativer Publicity?
Wir müssen die Kritik an den Finanzierungen politisch berücksichtigen und können nicht weiter „business as usual“ machen. Aber: Ich kann nicht eine negative Entscheidung treffen, weil mir eine Nase nicht gefällt. Wir brauchen nachvollziehbare Kriterien. Ich betone noch einmal, dass wir rechtlich nichts falsch gemacht haben. Wir haben nicht mit einer Organisation zusammengearbeitet, die rechtskräftig verurteilt ist. Wir müssen nach rechtsstaatlichen Kriterien handeln und nicht nach Bauchgefühl.

Sie prüfen nun allerdings doch, ob ethische Kriterien künftig bei den Finanzierungen in Bern eine Rolle spielen können. Gibt es dazu Vorbilder?
Es gibt die ESG-Kriterien, allerdings gelten die bislang für Investitionen. Für die Finanzierungsseite ist das schwieriger umzusetzen. Wenn ich Geld von einer Bank erhalte, kann ich nicht ohne weiteres nachvollziehen, woher es ursprünglich kommt. Da müssen Profis draufschauen. Wir holen uns jetzt Unterstützung von Wirtschaftsethikern, um diese Fragen zu klären. Vielleicht wird es am Schluss auf eine Positivliste oder eine schwarze Liste hinauslaufen. Vielleicht werden wir auch eine Deklaration einfordern, dass das Gegenüber sich an ethische Kriterien hält – ähnlich, wie wenn wir zum Beispiel Gelder für die Bebauung vergäben. Da suchen wir grüne Investoren, wollen aber natürlich kein Greenwashing ermöglichen.

Noch einmal zurück zur Fifa: Stand Dezember 2022 hat die Stadt Bern alle Verbindlichkeiten zurückgezahlt. Ist für Sie weiteres Kreditgeschäft mit der Fifa denkbar?
Wir haben alle Verbindlichkeiten zurückbezahlt und werden zum jetzigen Zeitpunkt kein Geld mehr von der Fifa annehmen. Gut möglich, dass die Fifa ohnehin ihr Geld nicht mehr anbietet, da wir heute keine Negativzinsen mehr haben.

s.doebeling@derneuekaemmerer.de

Info

Das Interview ist zuerst in der aktuellen Ausgabe 1/2023 von Der Neue Kämmerer erschienen. Hier geht es zum Zeitungsabo und hier zur Newsletter-Anmeldung.

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