Auf die Coronakrise reagierten Bund und Länder mit beispiellosen Hilfsprogrammen. Die wahren Herausforderungen, die Pandemie und Rezession nach sich ziehen, liegen jedoch in der Zukunft.

Das vergangene Jahr wird in die Geschichte der kommunalen Finanzen eingehen. Zuerst traf die Kommunen eine Pandemie, wie es sie in der bundesdeutschen Geschichte noch nicht gab, im Anschluss folgte die zweitschwerste Rezession. Im Gegenzug aber erlebten die Kommunen auch ein Hilfspaket von Bund und Ländern in beispiellosem Ausmaß.

Im Ergebnis verlief das Jahr 2020 finanziell solide. Die düsteren Prognosen aus dem Frühjahr 2020 sind nicht eingetreten. In Summe standen Überschüsse, ein Abbau der Kassenkredite und ein Sprung der Investitionen. Aber die Folgen der Pandemie wirken in den Haushalten fort. Gefährdet sind vor allem die ohnehin zu geringen Investitionen. Gerade hier birgt die Krise jedoch die Chance für eine überfällige Reform.

Finanzielle Belastungen 2020

Die Coronakrise erreichte Deutschland im März 2020 und zog im Zuge des Lockdowns sehr schnell einen wirtschaftlichen Einbruch nach sich. Diese zwei Krisen hinterließen auf unterschiedlichen Wegen Spuren in den kommunalen Haushalten; in der Summe fehlen mindestens 17 Milliarden Euro. Der größte Effekt wirkte über die Gewerbesteuer. Das Minus von 9 Milliarden Euro (18 Prozent) ist angesichts der frühen Befürchtungen erstaunlich niedrig. Letztlich zog die Konjunktur im vierten Quartal wieder deutlich an. Die Rückgänge fielen natürlich zwischen den Gemeinden sehr unterschiedlich aus. Von den rund 400 Gemeinden Nordrhein-Westfalens war jede fünfte im Plus. Auf der anderen Seite stehen Städte wie Gelsenkirchen und Marl mit Verlusten von 70 Prozent.

Zu den Kuriositäten des vergangenen Jahres gehört, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik die Erträge der Einkommensteuer höher waren als jene der Gewerbesteuer (netto). Die Umsatzsteuer ist trotz allem weiter gestiegen, nicht zuletzt, da der Bund die Ausfälle der Steuersenkung im zweiten Halbjahr 2020 allein trug.

Kaum überschaubare Hilfspakete

Wenige Wochen nach Beginn der Pandemie startete eine Kaskade von Hilfsmaßnahmen durch Bund und Länder, die in ihrer Fülle kaum zu überschauen sind. Diese Hilfen waren ein deutlicher Politikwechsel gegenüber der Finanzkrise elf Jahre zuvor – damals ließen Bund und Länder Defizite und einen sprunghaften Anstieg der Kassenkredite zu. Die Aussetzung der Schuldenbremse machte es möglich.

„Eine amüsante Anekdote unseres föderalen Staates ist, dass der Bund die Wohltat beschloss, die Länder sie aber hälftig finanzieren sollten.“

Der wichtigste Baustein jetzt war, folgerichtig, die Erstattung der Gewerbesteuer. Eine amüsante Anekdote unseres föderalen Staates ist, dass der Bund die Wohltat beschloss, die Länder sie aber hälftig finanzieren sollten. In der Abrechnung wurde deutlich, dass die pauschal zugesagte Erstattung von 11 Milliarden Euro weit über die tatsächlichen Verluste von netto 5 Milliarden Euro hinausging. Für die westdeutschen Gemeinden war es ein glücklicher Zufall, dass die erhöhte Gewerbesteuerumlage 2019 auslief.

Die zweite wichtige Säule der Hilfsmaßnahmen ist die vom Bund finanzierte höhere Erstattung der Wohnkosten nach SGB II. Diese circa  3 Milliarden Euro jährlich fließen überproportional in die sozial schwachen Großstädte, was dort echte und dauerhafte Freiräume schafft. Allerdings trägt der Bund nicht die politisch versprochenen 75 Prozent der Kosten, sondern nur 67 Prozent. In Brandenburg sind es sogar nur 62 Prozent.

Szenarien der kommenden Jahre

Die eigentlichen Herausforderungen aus Coronapandemie und Rezession liegen in der Zukunft. Eine Schätzung der Bertelsmann Stiftung für die Jahre 2021 bis 2024 kommt auf ein kumuliertes kommunales Minus von 23 Milliarden Euro. Wie abhängig diese Zahl von der Konjunktur ist, zeigt sich daran, dass das Minus auf Basis der vorhergehenden Steuerschätzung vom November 2020 noch 4 Milliarden Euro größer ausfiel.

Diese Feststellung darf aber nicht dazu verleiten, eine bloße Fortsetzung der Hilfspakete zu fordern. Eine Situation wie 2020, als zum Beispiel die süddeutschen Kommunen Steuererstattungen über 4 Milliarden Euro erhielten, obwohl nur 2 Milliarden Euro  verlorengingen und die Rücklagen 30 Milliarden Euro betrugen, ist kein zweites Mal tragbar.

„Der Haushaltsdruck wird steigen.“

In den nächsten Jahren werden die Länder fokussierter agieren (müssen) und die Kommunen wieder stärker in die Verantwortung nehmen. Der Haushaltsdruck wird steigen. Es wird wieder zu einem Anstieg der Kassenkredite kommen, was angesichts von Nullzinsen weniger ein finanzielles denn ein haushaltsrechtliches Problem ist. Dieses Haushaltsrecht und die strengen Schuldenbremsen der Kommunen werden unter Druck geraten. Nicht zuletzt, weil zentrale Regelungen in einigen Ländern 2020 ohnehin ausgesetzt wurden.

Pfadwechsel der Förderprogramme

Die Investitionen sind der sensible Punkt. Der starke Anstieg der vergangenen Jahre, nicht zuletzt getragen durch diverse Förderprogramme des Bundes, ist nicht zu halten. Angesichts des Investitionsstaus, der regionalen Ungleichgewichte und der Zukunftsbedarfe ist ein Rückgang aber ebenso wenig akzeptabel. Die Verantwortung für eine substantielle Aufstockung kann nur der Bund tragen. Nach den oft ernüchternden Erfahrungen der vergangenen Jahre stellt sich die Frage, wie. Die Kommunen brauchen einen Systemwechsel der Förderprogramme, der Verfahren beschleunigt, Bürokratie mindert und zu einer schnelleren Umsetzung führt.

Statt Ad-hoc-Programme nach Kassenlage des Bundes sollte es planbare, nach klaren Indikatoren bestimmte investive Zuweisungen über mindestens zehn Jahre geben. Diese Zuweisungen müssen vom Ergebnissaldo entkoppelt werden, um finanzschwache Kommunen nicht auszuschließen. Statt detaillierter Richtlinien zur Verwendung sollte der Bund zentrale Politikfelder wie beispielsweise Klimawandel oder Digitalisierung vorgeben. An die Stelle von Verwendungsnachweisen träte ein öffentliches Reporting der Kommunen über ihre Projekte.

Ein solcher Pfadwechsel wäre ein Anreiz, die unvermeidbaren finanziellen Einschränkungen im laufenden Geschäft zu akzeptieren. Er würde dazu führen, Autonomie und Kreativität der Kommunen zu fördern und das politisch oft bemühte Mantra „gestärkt aus der Krise“ mit Leben zu füllen.

rene.geissler@th-wildau.de

Autor

René Geißler ist Professor für öffentliche Wirtschaft und Verwaltung an der Technischen Hochschule Wildau. Zuvor war er Experte für kommunale Finanzen der Bertelsmann Stiftung und verantwortete unter anderem den Kommunalen Finanzreport.

Info

Der hier veröffentlichte Gastbeitrag ist zum ersten Mal in der aktuellen Ausgabe 3/2021 von Der Neue Kämmerer erschienen. Hier geht es zum Abo.

 

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