Herr Behnel, im vergangenen Jahr konnten Sie vermelden, dass die Stadt Hildesheim trotz Coronakrise ihre Kassenkredite von gut 200 Millionen Euro komplett abgebaut hat – eine Entschuldungshilfe des Landes von 130 Millionen Euro im Rahmen des sogenannten Zukunftsvertrags und ein strenger Sparkurs haben das möglich gemacht. Dann kam mit dem Angriff auf die Ukraine eine beispiellose Energie- und Flüchtlingskrise. Wie ist die Situation heute?
Wir stehen – wie alle Kommunen natürlich – im Moment vor großen Herausforderungen im Zusammenhang mit den Flüchtlingen: Wo bringen wir sie unter, wie organisieren wir Beschulung und Betreuung oder Kitaunterbringung für die Kinder? Das sind operative Fragen mit massiven finanziellen Auswirkungen. Wir hoffen, dass das noch besser gegenfinanziert wird, ohne dass Defizite hängenbleiben. Das Haushaltsjahr läuft im Übrigen erstaunlich gut, auch wenn die Planung für 2023 – nicht überraschend – defizitär ist wegen der Energiepreiskrise und der Inflation. Da rechnen wir mit einem Minus von etwa 12 Millionen Euro. Auch das Jahr 2024 wird noch defizitär sein, für 2025 planen wir dann wieder mit einem ausgeglichenen Ergebnishaushalt.
„Ich frage mich, wie lange uns die Reserven noch tragen“
Wie gehen Sie mit den aktuellen Unsicherheiten um?
Die Unsicherheiten schlagen natürlich durch, es ist sehr schwierig, belastbare Planungen für die kommenden Jahre zu machen. Wir haben aber durch die guten Abschlüsse der vergangenen Jahre Reserven in der Bilanz geschaffen. Außerdem hat das Land als Ausgleich für die epidemische Lage verschiedene Erleichterungen zur Haushaltsplanung und -ausführung geschaffen, die jetzt mit Blick auf die Auswirkungen des Ukraine-Krieges verlängert werden. Deshalb laufen wir nicht in ein Haushaltssicherungskonzept. Dadurch, dass wir in den vergangenen zehn Jahren die Verbindlichkeiten abgebaut haben, sind wir auf jeden Fall ein Stück weit resilienter geworden. Aber ich frage mich, wie lange uns die Reserven noch tragen werden.
Hildesheim hat für die Konsolidierung der vergangenen Jahre an vielen Stellen Gelder gestrichen – etwa bei Kulturförderung, Straßenbau und Grünpflege. Hätten Sie überhaupt weitere Ansatzpunkte für den Rotstift?
Wir sind auskonsolidiert, was Budgets angeht, und müssen trotzdem an einigen Stellen nachsteuern. Aber das wird immer schwieriger, weil wir sowohl im Ergebnishaushalt als auch im investiven Bereich viele andere Dinge auf dem Schirm haben müssen: Wir haben einen massiven Bedarf sowohl an Investitionen als auch an Unterhaltungsmaßnahmen von Gebäuden, im Straßenbau und bei der Digitalisierung. Da müssen wir natürlich genau prüfen, welche freiwilligen Leistungen wir uns leisten können. Gegenwärtig planen wir aber keine weiteren Streichungen, weil die Politik viele Themen seit langem mitdenkt und die freiwilligen Leistungen schon im Zusammenhang mit dem Zukunftsvertrag angepasst worden sind. Wir ringen bei den Haushaltsberatungen aber teilweise massiv um fünf- oder sechsstellige Einzelpositionen und können Erwartungen nicht eins zu eins erfüllen. Das ist ein sehr schmaler Grat, auf dem wir balancieren. Wir haben in Hildesheim aber über diese einzelnen Aspekte hinaus ein ganz grundsätzliches Thema: Wir haben ein Problem mit der demographischen Situation.
„Wir reden über Ausgaben von etlichen Millionen“
Hildesheim hat etwas mehr als 100.000 Einwohner …
… und hat damit den Großstadtstatus als kleinste Großstadt Niedersachsens. Gleichzeitig sind wir aber eine kreisangehörige Kommune im Landkreis Hildesheim, der 275.000 Einwohner hat. Die nächstgrößere Kommune im Kreis hat gerade einmal knapp 20.000 Einwohner. Hildesheim ist also mit Abstand die einwohnerstärkste Kommune, was zu Ungleichgewichten führt. Es geht aber nicht nur um den Status der Kreisangehörigkeit und, damit verbunden, um die deutliche Belastung mit der Kreisumlage. Es geht vor allem um die Tatsache, dass wir zusätzlich eigene Aufgaben erfüllen müssen und dazu außerdem Aufgaben des Landkreises, die wir als große Kommune übernehmen und über die Kreisumlage mitfinanzieren. Da haben wir unser Problem. Nehmen Sie als Beispiel die Pflichtaufgabe Brand- und Katastrophenschutz: Stadt und Kreis haben hier die gleichen gesetzlichen Aufgaben. Dabei profitiert die Stadt aber nur in geringem Umfang von den Leistungen des Landkreises, da wir gesetzlich diese Aufgaben eigenständig wahrnehmen müssen. Das ist natürlich ein defizitärer Bereich, da müssen wir irgendwann eine Lösung finden, die uns fairer behandelt als heute.

Ulf Behnel, Quelle: Stadt Hildesheim
Oder nehmen Sie als weiteres Beispiel die Ausländerbehörden: Stadt und Landkreis haben hier jeweils eigene Zuständigkeiten, die sie jeweils selbst finanzieren. Aber die Stadt finanziert die Aufgabenwahrnehmung des Landkreises für die übrigen Landkreiskommunen zusätzlich über die Kreisumlage mit, ohne selbst davon zu profitieren. Wir reden hierbei insgesamt über Ausgaben von etlichen Millionen – es geht nicht darum, irgendwo 10.000 Euro einzusparen, sondern darum, dass wir eine verbesserte Gegenfinanzierung für unsere gesetzlich bestimmten Pflichtaufgaben erreichen müssen. Niedersachsen hat übrigens auch kreisfreie Städte mit deutlich geringerer Einwohnerzahl als Hildesheim.
Möchte die Stadt also raus aus dem Landkreis?
Das ist derzeit kein Thema, sondern wäre sozusagen die Ultima Ratio. Man müsste so einen Schritt auch ganz genau durchrechnen, denn es kämen damit auch zusätzliche Aufgaben hinzu, die wir aktuell gar nicht bespielen müssen. Wir versuchen deshalb gerade, einen anderen Weg zu finden. Es gibt für die Stadt Göttingen eine Sonderregelung im Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz: Sie ist auch kreisangehörig, aber das Gesetz bestimmt, dass sie für bestimmte Aufgaben, die sie erfüllt, eine geringere Kreisumlage im Vergleich zu den anderen kreisangehörigen Kommunen zahlt. Der Grundgedanke ist, dass die Stadt Aufgaben nicht zweimal finanziert: einmal, weil sie sie selbst erfüllt, und dann noch einmal über ihren Anteil an der Kreisumlage. Mit einer ähnlichen Regelung könnten wir auch in Hildesheim zu guten Ergebnissen kommen.
„Die Gegenfinanzierung passt nach wie vor nicht“
Halten Sie die Idee für erfolgversprechend?
Wir werden demnächst mit Kreistag und Stadtrat eine gemeinsame Beschlussvorlage dazu auf den Weg bringen. Die Frage ist, ob wir damit auf der Landesebene weiterkommen.
Haben Sie mit dem Vorstoß nicht schon auf der Kreisebene Probleme?
Natürlich hätte eine solche Regelung Verschiebungen zu Lasten der anderen Kommunen zur Folge. Fairerweise muss ich aber dazusagen, dass wir auch jetzt schon ein komplexes Regelwerk zwischen Stadt und Landkreis haben, in dem einzelvertragliche Ausgleichsregelungen festgelegt wurden. Das soll jetzt auch noch mal um zwei Jahre verlängert werden. Trotzdem passt die Gegenfinanzierung insgesamt nach wie vor nicht. Wir bekommen nicht einmal annähernd 100 Prozent an Aufwand ersetzt. Mit einer Regelung analog zu Göttingen könnten wir Doppelungen streichen, anstatt sie nur rückwirkend zu verrechnen.
s.doebeling@derneuekaemmerer.de
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Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus einem Interview, das in voller Länge in der aktuellen Zeitungsausgabe 4/2022 von Der Neue Kämmerer erschienen. Hier geht es zum Abo und hier zur Newsletter-Anmeldung.Weitere aktuelle Nachrichten rund um das Thema Föderale Finanzbeziehungen lesen Sie auf online auf der DNK-Themenseite.