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Dirk Meussen: Ein Kämmerer als Komparse

Sonst steht Dirk Meussen vor der Kamera von Regisseuren wie Pablo Larraín oder Arne Feldhusen – zumindest manchmal. Jetzt sitzt der Kämmerer der Stadt Haltern am See vor seiner Webcam und gibt ein Interview. Er trägt ein kariertes Hemd und ein breites Lächeln im Gesicht. Auf einem Tisch hinter ihm liegen fünf gerade angeordnete Stapel – Papier, Hefte, Bücher. „Zu Hause ist es nicht so ordentlich“, sagt Meussen. Daran sei zu erkennen, dass er sich nicht im Homeoffice, sondern in der Stadtverwaltung befinde.

Zu seiner Funktion ist der Kämmerer eher zufällig gekommen, wie er sagt. Er habe sich schon immer für die öffentliche Verwaltung interessiert, war aber zunächst „eher im Personalwesen tätig“ – auch bei der Bundeswehr. Dort hat er seine Karriere begonnen. Nach einem dreiviertel Jahr an der Offiziersschule in Fürstenfeldbruck hat er eine zweijährige Ausbildung zum Gruppen- und Zugführer bei der Luftwaffe gemacht. „Das war hilfreich in Bezug auf die Persönlichkeitsentwicklung, und ich habe die Grundzüge der Personalentwicklung kennengelernt“, sagt Meussen.

Plötzlich Kämmerer

Meussen ist bereits seit 1990 bei der Stadt Haltern am See; zunächst war er Hauptamtsleiter in der Personalverwaltung. „Zu Beginn meiner Tätigkeit hier wurde ich von meinem Vorvorgänger gefragt, ob ich Kämmerer werden möchte“, erinnert sich Meussen. „Damals habe ich das aber verneint, ich fand den Job etwas dröge.“

Staubtrocken, Rechnen, Zahlen: Der Mathematik sei er nicht abgeneigt gewesen, erkannte in ihr aber keine Lebenswirklichkeit. Meussen zieht beide Augenbrauen nach oben und schmunzelt. „Genau die Lebenswirklichkeit behelligt mich in meinem Job als Kämmerer nun aber tagtäglich“. Inzwischen habe er erkannt: Nahezu alle Tätigkeiten in der Verwaltung hätten mit Finanzierung zu tun und bedürften der Entscheidung sowie der Wertung durch den Kämmerer.

Was ihn zum Umdenken brachte? „Als 2013 der Stärkungspakt NRW von der Landesregierung in Kraft trat, mussten wir unseren Haushalt konsolidieren, um Geld vom Land zu bekommen“, erklärt Meussen. Er sei deshalb auf den Bürgermeister der Kommune zugegangen und habe ihm angeboten, die Dezernatsführung als koordinierende Funktion zweier wichtiger Querschnittseinheiten zu übernehmen. „Der Bürgermeister hat mir dann zudem den Kämmererposten übertragen. Ich bin da quasi reingerutscht, aber jetzt kann ich mir keine andere Tätigkeit mehr vorstellen.“

Von der Bundeswehr zum Film

Eine weitere Tätigkeit, die Meussen regelmäßig ausübt, ist die als Komparse. Auch diese Karriere begann mit der Bundeswehr. „Da gibt es einen Anknüpfungspunkt“, sagt der Kämmerer, „meine jetzige Castingagentin suchte für den Hindenburg-Film deutsche Haltemannschaften, die an Seilen den Zeppelin festhalten sollten; und auf amerikanischer Seite suchte man Matrosen.“ Auf die Annonce wurde Meussen damals, 2011, über den Reservistenverband aufmerksam. Als ehemaliger Soldat war er „eigentlich prädestiniert“. Dann ging es ganz schnell, und er drehte drei Tage auf einem ehemaligen Fliegerhorstgelände.

Während Meussen von seinem Hobby berichtet, gestikuliert er und wirkt, als würde er am liebsten gleich zum nächsten Casting aufbrechen. „Ich bin aber auch ein Filmeliebhaber“, sagt Meussen und hebt dabei die Schultern und beide Arme an. Er besitze 2.700 Blu-rays und 2.600 DVDs. Seit dem ersten Dreh ist eine ganze Liste an Filmen entstanden, in denen Meussen als Komparse auftaucht.

Immer verkleidet: Er spricht von abgewetzter Arbeiterkluft, einer vollen Polizeimontur und von einer englischen Uniform. „Mich fasziniert in der Filmwelt die Detailtreue“, sagt Meussen. Am Set würden die unterschiedlichen Professionen, zum Beispiel Beleuchter, Masken- und Kostümbildner, sehr detailliert auf Kleinigkeiten achten. „Zum Beispiel muss der Unterkörper immer auch stilgerecht gekleidet sein, selbst wenn er im Film später gar nicht zu sehen ist.“

Seine Castingagentur bietet ihm alle zwei Jahre eine Komparsenrolle an, dafür nimmt er ein paar Tage Urlaub. Reich wird man als Komparse allerdings wohl nicht: Die Aufwandsentschädigung beträgt 80 Euro pro Tag. Meussen fällt ein weiteres Beispiel für die Detailtreue im Film ein: Er war einmal für einen Dreh in einem Kölner Restaurant, als Restaurantbesucher. „Die Krümel auf der Tischdecke wurden für jede Wiederholung neu angeordnet – da achtet doch keiner drauf!“, sagt er und schüttelt den Kopf. Nach einer kurzen Pause folgt: „Das hält natürlich auch auf.“

Mit seinem Hobby als Komparse sei immer auch viel Warterei verbunden. Eine Sprechrolle hatte Kämmerer Meussen am Filmset bisher noch nicht. In einem Bewerbungsvideo für die Serie „How to sell drugs online fast“, in der er kürzlich einen Oberstufenlehrer spielte, musste Meussen einen Satz in verschiedenen Stimmlagen aufnehmen, erzählt er. Die Rolle bekam er, jedoch ohne Sprechanteil. „Ich hab’ zwar mal einen Workshop für Kleindarsteller gemacht, aber bislang war ich nur schmückendes Beiwerk“, sagt er und grinst.

Die Netflix-Serie hat ihm offenbar trotzdem zu lokaler Prominenz verholfen. Seine Söhne seien von Mitschülern angesprochen worden, die den Vater erkannt hätten. „Auch einige Mitglieder der Stadtverwaltung in Haltern sind fast vom Glauben abgefallen“, berichtet Meussen, „Sie haben die Serie angehalten und zurückgespult. Ob das denn wohl der Kämmerer war …?“ Er selbst sei verwundert gewesen, wie viele Leute die Serie geschaut haben.

Schauspieler statt Kämmerer?

Obwohl ihm sein Hobby großen Spaß bereite, würde er das Kämmererdasein nicht für eine Hauptrolle aufgeben. „Davon könnte ich ja gar nicht leben, schließlich hat Hollywood noch nicht angeklopft“, sagt er. Mit dem „Kämmerersalaire“ stünde er besser da als mit der Aufwandsentschädigung. „Spaß beiseite“, sagt Meussen, lächelt aber trotzdem weiter, „ich bin mehr Kämmererprofi als Darstellerprofi, da bleibe ich als Schuster lieber bei meinen Leisten.“ Bei dem Gedanken kommt auch das „Beamtische“ in ihm durch: „Die Schauspielerei wäre mir zu unsicher.“

Parallelen zwischen seinem Hobby als Komparse und seinem Beruf als Kämmerer erkennt Meussen durchaus. „Auch ein Kämmerer übernimmt eine Rolle, um seinen Auftrag zu erfüllen“, sagt er. „Da kann es schon sein, dass man in die Rolle des Spielverderbers schlüpft, die man gar nicht haben will.“ Die größte Gemeinsamkeit sieht Meussen allerdings in der Detailtreue: Der Haushalt müsse schließlich transparent sein, sowohl für die Öffentlichkeit als auch für die interne Rechnungsprüfung und externe Wirtschaftsprüfer. „In der Kämmerei wird auf jeden Cent genau geguckt – wie bei den Krümeln auf dem Restauranttisch.“

a.jarchau@derneuekaemmerer.de

Info

Das Porträt über Kämmerer Dirk Meussen ist zuerst in der Ausgabe 1/2022 von Der Neue Kämmerer erschienen.