Frau Gerlach, Sie sind seit November 2021 Oberbürgermeisterin der Stadt Delmenhorst. Über Jahre hinweg waren Ihre Amtsvorgänger von der SPD. Wie lief der Wahlkampf für Sie mit CDU-Parteibuch und als gemeinsame Kandidatin von CDU und Grünen?
Ich habe immer gesagt, dass ich mich als überparteiliche Kandidatin sehe. Das hat mir schon im Wahlkampf sehr geholfen, auch weil ich so zwei Unterstützerteams, je eines von der CDU und den Grünen, im Hintergrund hatte. Außerdem bin ich jenseits der Parteizugehörigkeit bei Wahlen meinem Amt neutral verpflichtet. Ich bin die Oberbürgermeisterin aller Delmenhorster und trete deswegen auch immer allen Fraktionen offen gegenüber auf. Ich reiche meine Hand erst einmal allen, die demokratisch gewählt und legitimiert sind.
Wie haben Sie den Wahlkampf empfunden?
Im Wahlkampf wurde ich schon früh aufgestellt. Richtung Wahl im vergangenen September ist es für mich dann immer intensiver geworden. Bei meinen Begegnungen mit den Wählern in der Stadt habe ich den Eindruck gewonnen, dass jemand mit Bezug zur Stadt Delmenhorst, der die lokalen Aufgaben und deren Bedeutung kennt, gesucht wird. Ich bin in Delmenhorst geboren und zur Schule gegangen, habe 25 Jahre hier in der Verwaltung in unterschiedlichen Positionen gearbeitet. Offenbar konnte ich das Zutrauen der Menschen gewinnen. Viele meiner Vorgänger waren nicht von hier und sind eher durch eine kurze Verweildauer im Amt aufgefallen. Im Umkehrschluss hat der Start als Oberbürgermeisterin für mich in Delmenhorst aber auch bedeutet, dass ich nicht viel Zeit zum Eingewöhnen und auch keinen Welpenschutz hatte, aber den habe ich auch nicht gebraucht.
Sie sind die erste Oberbürgermeisterin in der Stadtgeschichte. Sehen Sie sich in dieser Rolle als Vorreiterin?
Als Frau in einer Führungsposition muss man generell schauen, sich gleichberechtigt aufzustellen. Nach meinen Erfahrungen wird es immer noch als besonders wahrgenommen, in der Verwaltung als weibliche Führungskraft aktiv zu sein – auch wenn ich bei weitem nicht die einzige bin. Frauen netzwerken lieber unter sich und zeichnen sich durch eine andere Art der Führung aus. Ich habe während meiner gesamten beruflichen Laufbahn darauf geachtet, im Austausch mit Kollegen, auch über die jeweiligen Stadtgrenzen hinaus, zu bleiben. Ein gutes Netzwerk ist enorm wichtig, vor allem, weil es ja sonst niemanden mehr gibt, der einem als Oberbürgermeisterin ins Gewissen reden kann.
„Lasst uns selbstbewusst sein!“
In den vergangenen Jahren wirkte die Verwaltung der Stadt nach außen nicht immer geschlossen, die Presse hat regelmäßig über Querelen berichtet – was möchten Sie anders machen?
Ich bin davon überzeugt, dass wir die vielen, mitunter auch schwierigen Themen nur gemeinsam bewältigen können. Deswegen möchte ich auch dafür eintreten, zu sagen: „Lasst uns selbstbewusst sein!“ Die Meckerkultur der vergangenen Jahre hat der Stadt insgesamt, nicht nur in der Außenwirkung, nicht gutgetan. Dabei gibt es aus Delmenhorst viel Positives zu berichten. Es gibt hier viele Unternehmer, die der Stadt sehr verbunden sind und sich stark über ihre eigentliche Tätigkeit hinaus für die Stadt einsetzen. Und ganz wichtig: Delmenhorst ist schön. Die Stadt hat mit rund 80.000 Einwohnern eine Größe, in der es keine Anonymität gibt. Man kennt sich. Ich habe hier ein gutes Netzwerk und bin nicht ganz neu hier. Das hat mir bei der Wahl sicherlich auch geholfen.
Sie waren zuletzt für knapp zwei Jahre Kämmerin in Delmenhorst, bevor Sie 2018 in den Verwaltungsvorstand der Stadt Cloppenburg und dann als OBM wieder zurück nach Delmenhorst gegangen sind. Wie kam es zu diesen Wechseln?
In Delmenhorst war ich als Kämmerin noch keine Wahlbeamtin, und zum Zeitpunkt meines Weggangs waren alle Stellen, die mich beruflich gereizt hätten, besetzt. Nach einem Vierteljahrhundert im Delmenhorster Rathaus hatte ich einen Veränderungswunsch, nicht unbedingt einen Aufstiegswunsch. Im Laufe der Zeit hatte ich zudem insgesamt drei Studiengänge nebendienstlich absolviert und mich damit wirtschaftswissenschaftlich weitergebildet. Dieses Wissen wollte ich auch anwenden. Dazu kam die Frage: „Willst du jetzt für den Rest deines Lebens Kämmerin bleiben?“ Die Stelle in Cloppenburg war für mich der Sprung ins kalte Wasser. Angefühlt hat sich der Neustart zunächst wie ein Schulanfang. Es war für mich alles neu. Auch die Stelle an sich war neu, es gab vor mir keine Stadträtin – auch da bin ich vielleicht wirklich ein bisschen eine Vorreiterin gewesen.
Warum waren Sie nur so kurz in Cloppenburg?
Ich hatte definitiv keine Fluchtgedanken. Doch dann kam die Anfrage seitens der CDU aus Delmenhorst. Sie suchte eine Kandidatin für die Wahl zur Oberbürgermeisterin mit ausgewiesener Verwaltungsexpertise und Kenntnis der Stadt. Ob eine Kandidatur letztlich auch bei der Wahl zum Erfolg führt, kann man vorher nicht wissen. Es gab eine Vielzahl an Bewerbern für das Amt. Das einzige was ich wirklich wusste, war, dass ich mich immer auf mich selbst verlassen konnte. Die Frage, in Delmenhorst zu kandidieren, war für mich eine Frage von Bauch und Herz. Ich wollte etwas Praktisches tun und hatte das Gefühl, die Stadt braucht mich jetzt.
„Während meiner recht kurzen Zeit als Kämmerin in Delmenhorst habe ich festgestellt, dass das alleine mich nicht auf Dauer ausfüllt.“
Warum wollten Sie nicht Kämmerin bleiben?
Noch nie habe ich eine Aufgabe auf Ewigkeit gemacht. Ich möchte mir fortwährend Neues erarbeiten. Als Kämmerer arbeitet man logisch analytisch, ist Zahlen verhaftet. Während meiner recht kurzen Zeit als Kämmerin in Delmenhorst habe ich festgestellt, dass das alleine mich nicht auf Dauer ausfüllt. Vorher habe ich im Gesundheitsbereich, bei der Gefahrenabwehr, als Leiterin des städtischen Krisenstabs und in dieser Zeit sehr eng mit der Feuerwehr zusammengearbeitet. Unter anderem war ich federführend bei der Organisation der Flüchtlingsunterbringung 2015 dabei. Während meiner Zeit als Kämmerin habe ich gemerkt, dass ich durchaus auch Gesicht sein will, vorne stehen und die Ärmel hochkrempeln möchte. Als Oberbürgermeisterin habe ich zu Dienstbeginn von der Feuerwehr meine eigene Jacke mit dem Schriftzug „Oberbürgermeisterin“ auf dem Rücken bekommen. Sie hängt immer einsatzbereit in meinem Büro.

Anne-Kathrin Meves
Wie war der Einstieg in neuer Position für Sie in Delmenhorst?
Ich war ja nicht lange weg. Das hat mir sicherlich geholfen. Außerdem habe ich den Vorteil, dass der Rat mit mir insgesamt neu gewählt wurde. Die Erfahrenen sind natürlich wichtig aber es braucht auch neue Gesichter. Wir wollen alle zusammen die Stadt Delmenhorst voranbringen.
Was haben Sie sich als Oberbürgermeisterin vorgenommen?
Ich mag es, unterwegs und präsent zu sein. Zum Glück fängt das jetzt gerade wieder an. Ich möchte nicht nur eine Verwaltung leiten, sondern auch ansprechbar sein. Das ist schwierig, wenn – wie während der Coronapandemie – fast alles nur digital läuft.
Sie sprachen bereits über „schwierige Themen“ in Delmenhorst. Woran arbeiten Sie aktuell?
Ich möchte insgesamt Aufbruchstimmung verbreiten. Die Pandemie hat in den vergangenen zwei Jahren viel gelähmt. Trotzdem laufen gerade sehr viele Projekte parallel in der inneren Stadt. Ein Beispiel ist die Neunutzung des ehemaligen Hertie-Areals mitten in der Fußgängerzone. Dort wird ein ganz neues Stadtquartier entwickelt. An anderer Stelle arbeiten wir im Sanierungsgebiet „Wollepark“. Insgesamt betreiben wir an unterschiedlichsten Standorten gerade viele verschiedene Bauvorhaben, von der Neuentwicklung großer ehemaliger Industrieflächen bis hin zu kleineren, einzelnen Baugrundstücken – und das trotz der begrenzten Flächen in einer kreisfreien Stadt. Ich sehe hier ein gewaltiges Potential des Neuanfangs. Das mit Abstand größte Projekt, das die Stadt derzeit stemmt, ist der Neubau des Krankenhauses. In meiner Zeit als Kämmerin ist das Krankenhaus in die Insolvenz gegangen, jetzt haben wir einen finanziell soliden Stand erreicht.
„Wir sind in einer herausfordernden Zeit, und es ist kein Ende in Sicht.“
Bereiten Ihnen bei den vielen Bauprojekten der Stadt die derzeit steigenden Preise bereits Kopfzerbrechen?
Zugegeben, Material- und Baukosten fordern uns gerade sehr. Hinzu kommen schwer einschätzbare Kosten für Schutzsuchende, erst 2015, und nun kommen neue aus der Ukraine hinzu. Wir sind in einer herausfordernden Zeit, und es ist kein Ende in Sicht. Die finanziellen Unwägbarkeiten, erst durch die Pandemie und jetzt durch den Krieg Russlands in der Ukraine, sind enorm. Hinzu kommt, Länge und Intensität des Konflikts sind derzeit nicht abzusehen.
Inwieweit hilft Ihnen Ihre Zwischenstation als Kämmerin bei Ihrem jetzigen Amt als Oberbürgermeisterin?
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man als Oberbürgermeister die Kämmerei nicht so einfach mitbeackern kann. Mein allgemeiner Vertreter und Erster Stadtrat, Markus Pragal, ist deshalb auch Kämmerer. Vorher war die Stelle, bis auf meine eigene, kurze Zeit in diesem Amt, über Jahre nicht mehr richtig besetzt gewesen. Auch hängt Gestaltungspotential immer von Wirtschaft und Finanzen ab – das habe ich nicht zuletzt während meiner Zeit als Kämmerin gelernt. In Delmenhorst bewegen wir uns permanent zwischen zwei Polen: der Sozialstruktur mit hohen Sozialausgaben auf der einen und einem guten sozialen Netzwerk, in dem jeder den anderen kennt, auf der anderen Seite. Ich will nicht drum herumreden, wir sind abhängig vom Finanzausgleich. Daher ist es umso wichtiger, dass alles, was wir tun, immer in die richtige Richtung geht. Zum Glück sind in der Vergangenheit schon viele Weichen richtig gestellt worden. Im investiven Bereich, beispielsweise bei Kitas und Schulen, müssen wir jetzt in die Vollen gehen. Der politische Auftrag lautet, dass wir doppelt so schnell beim Kitaausbau sein müssen wie bisher.