Kanzleramtschef Helge Braun hat eine erneute Debatte um die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse angestoßen. Bietet sein Fahrplan zur Beendigung der Ausnahmeregelung im Falle von außergewöhnlichen Notsituationen eine Lösung der Finanzmisere infolge der Coronakrise?

Mit der Einführung der Schuldenbremse hat der Grundgesetzgeber (Bundestag und Bundesrat) einen weitreichenden Schritt zur Konsolidierung der öffentlichen Finanzen vorgenommen. Föderal bedingt war damit auch die Einführung von Schuldenbremsen auf Länderebene verbunden.

Zwar bezieht sich die Schuldenbremse selbst auf die europäische Vorgabe des Fiskalvertrages aus dem Jahr 2012. Hier wird ein struktureller Saldo, d.h. ein um Konjunktureffekte bereinigter Saldo von 0,5 Prozent gemessen an der Wirtschaftsleistung als Obergrenze an Verschuldung für den Gesamtstaat gesetzt. Im Falle Deutschlands bedeutet dies jedoch auch eine Aufteilung der Obergrenze auf die unterschiedlichen föderalen Ebenen (Bund, Länder, Gemeinden und die Sozialversicherungen).

Herauskristallisiert hat sich eine Verteilung von 0,35 Prozent Neuverschuldung auf Bundesebene, ein Neuverschuldungsverbot für die Länder und ein Toleranzbereich von 0,15 Prozent für die übrigen Ebenen, wodurch die Vorgaben durch den Fiskalpakt eingehalten werden. Selbst bei einer vielfach diskutierten Abschaffung der Schuldenbremse würde der europäische Fiskalpakt trotzdem seine Gültigkeit behalten und auf die nationalen Fiskalpolitiken ausstrahlen.

Vorteile der Schuldenbremse

Die Vorteile der bestehenden Schuldenregel sollten dabei nicht übersehen werden. Denn bereits in der jüngeren Vergangenheit ging von ihr – erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik – über einen längeren zusammenhängenden Zeitraum eine erkennbare disziplinierende Wirkung aus.  

Nicht nur relativ zum Bruttoinlandsprodukt, sondern auch absolut ist der Schuldenstand des Öffentlichen Gesamthaushalts seit einigen Jahren rückläufig. Sowohl der Bund als auch die Ländergesamtheit konnten ihre Kreditmarktschulden spürbar reduzieren. Der strukturelle Finanzierungssaldo hat sich in den letzten zehn Jahren (vor Ausbruch der Corona-Pandemie) in allen Ländern erheblich verbessert.

Ausnahmeregelung genutzt

Auch ein Blick auf die Kreditfinanzierungsquoten zeigte, dass Neuverschuldung bei der Finanzierung öffentlicher Aufgaben im Bund und in den meisten Ländern kaum noch eine Rolle spielt, wenngleich die erfolgreichen Konsolidierungsanstrengungen vor der Pandemie auch durch eine gute Einnahmenentwicklung begünstigt wurden.

In Zeiten der Pandemie wurde aus guten Gründen von der Ausnahmeregelung, die im Rahmen der geltenden Schuldenbremse vorgesehen ist, Gebrauch gemacht. So sind mit der Nettokreditaufnahme Tilgungspläne verbunden, die sich zwischen Bund und Ländern stark unterscheiden.

Fakt ist folglich: „Die“ Schuldenbremse gibt es nicht. Durch die bundesdeutsche föderale Struktur hat nicht nur der Bund eine Schuldenbremse erlassen, sondern auch die Länder. Demzufolge existieren in Deutschland 17 Schuldenbremsen (Bund und 16 Länder), die hinsichtlich verschiedener technischer Details sowie bezüglich der Tilgungsanforderungen voneinander teilweise erheblich abweichen.

Heterogene Vorschriften zur Tilgung

Ein Blick auf die Tilgungsanforderungen auf Länderebene zeigt eine sehr heterogene Lage. Während Nordrhein-Westfalen mit einem Tilgungszeitraum von 50 Jahren Spitzenreiter ist, haben sich Sachsen mit acht und Sachsen-Anhalt mit drei Jahren straffe Tilgungspläne verordnet. Bayern will innerhalb von 20 Jahren eine Schuldentilgung erreicht haben, während beispielsweise in Hessen innerhalb von 30 Jahren die zusätzliche Verschuldung getilgt werden soll.

Die damit verbundene große Spannweite drückt sich letzten Endes in unterschiedlich hohen Belastungen für die zukünftigen Länderhaushalte aus. Hierbei darf nicht übersehen werden, dass ein kurzer Tilgungszeitraum auch mit hohen Belastungen über eine kurze Frist verbunden ist. Ein längerer Tilgungszeitraum kann hier helfen, Haushaltsbelastungen zu reduzieren, um fiskalpolitischen Handlungsspielraum zu gewährleisten.

Eine Rolle spielt ebenfalls die absolute Höhe der Nettokreditaufnahme, wie auch der Beginn der geplanten Tilgung. Während in Hessen bereits ab diesem Jahr zurückgezahlt werden soll, wird in Sachsen ab 2023 getilgt. Problematisch wird es, wenn eine restriktive Fiskalpolitik auf eine wirtschaftlich angespannte Lage trifft. Konkret bedeutet dies, dass durch den frühzeitigen Beginn der Tilgung unter Umständen eine konjunkturell angespannte Lage verschärft werden könnte. Dies würde einen prozyklisch verstärkenden Effekt auf die angespannte wirtschaftliche Lage entfalten. Eine Entschuldung um jeden Preis sollte deshalb zugunsten der staatlichen Handlungsfähigkeit überdacht werden.

Langfristige Perspektive zählt

Mit Blick auf die Reformvorschläge von Kanzleramtschef Helge Braun ist die optimierte Ausgestaltung der jeweiligen Schuldenbremsen hierbei durchaus diskussionswürdig. Dabei sollte auch die langfristige Perspektive in den Blick genommen und daher die mit den Schuldenbremsen verbundenen Tilgungsanforderungen diskutiert werden. Dies bedeutet letztendlich, dass Tilgungsanforderungen gemäß der wirtschaftlichen Entwicklung frühzeitig angepasst werden sollten.

Auch wenn die Konjunkturprognosen für 2021 bereits positive Wachstumsraten bescheinigt haben, wird sich dies – unter Vorbehalt des weiteren Verlaufs der Corona-Pandemie und der politischen Maßnahmen – erst mit einer Verzögerung in den öffentlichen Haushalten bemerkbar machen. Vor dem Hintergrund, dass zudem die mittel- und langfristigen Folgekosten der Pandemie für die Länderhaushalte noch nicht absehbar sind, ist zumindest die Option einer gestreckten und verschobenen Tilgung als Option für die Entlastung der Länderhaushalte aktiv zu diskutieren.

Letztlich sollte es aber nicht um eine grundsätzliche Abkehr oder eine Verbannung der Schuldenbremse in die Geschichtsbücher, sondern um die maßvolle Ausgestaltung der Fiskalregel zugunsten von handlungsfähigen Haushalten der Länder und des Bundes gehen.

lenk(*)wifa.uni-leipzig(.)de

Info

Prof. Dr. Thomas Lenk ist Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen und Public Management der Universität Leipzig sowie stv. Rektor. Zudem ist er Mitglied im Unabhängigen Beirat des Stabilitätsrates beim BMF. Christian Bender ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut mit Schwerpunkt Fiskalföderalismus. Dr. Oliver Rottmann ist Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. an der Universität Leipzig.

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