Mit dem im April 2025 von Union und SPD beschlossenen Koalitionsvertrag nimmt die neue Bundesregierung gezielt Einfluss auf einen Kernbereich kommunaler Steuerautonomie: die Gewerbesteuer. Im Fokus stehen dabei sogenannte Gewerbesteueroasen – Kommunen mit niedrigen Hebesätzen, die durch gezielte Standortpolitik Unternehmen anziehen.
Der Koalitionsvertrag sieht eine Anhebung des Mindesthebesatzes von derzeit 200 auf 280 Prozent vor. Scheinsitzverlagerungen sollen durch gesetzliche Klarstellungen und strengere Prüfmechanismen verstärkt kontrolliert werden. Eine intensivere interkommunale Zusammenarbeit und die Einbindung der Landesfinanzbehörden sollen dazu beitragen, die Transparenz zu erhöhen und Missbrauch zu verhindern. Ziel ist es, den steuerlichen Standortwettbewerb zu begrenzen und fairer zu gestalten.
Diese Reformvorschläge treffen auf ein Spannungsverhältnis: Einerseits gibt es ein berechtigtes Interesse an Steuergerechtigkeit und der Vermeidung missbräuchlicher Gestaltungen, andererseits sind Hebesatzentscheidungen Ausdruck der kommunalen Selbstverwaltung – rechtlich zulässig und in vielen Fällen wirtschaftlich sinnvoll. Die Diskussion ist daher differenzierter zu führen, als es die öffentliche Debatte meist zulässt.
Standortpolitik im gesetzlichen Rahmen
Die Gewerbesteuer gehört zu den wenigen originären Einnahmequellen der Kommunen. Der Hebesatz als kommunales Steuerungselement ermöglicht es Städten und Gemeinden, ihre eigenen finanzpolitischen Ziele umzusetzen und wirtschaftliche Anreize für Unternehmen zu setzen. Gewerbesteuerliche Standortpolitik ist dabei kein neues Phänomen. Schon seit Jahrzehnten nutzen strukturschwache Regionen die Möglichkeit, durch niedrige Hebesätze wirtschaftliche Anreize zu setzen. In vielen Fällen ist das sinnvoll und notwendig – etwa, um Arbeitsplätze zu schaffen und Abwanderungsbewegungen zu stoppen.
Die Unternehmen greifen diese Anreize durch Sitzverlagerungen auf. Das ist zwar rechtlich simpel, kann aber in der Praxis durchaus komplex sein. Damit eine Sitzverlegung auch gewerbesteuerlich wirksam ist, müssen die geschäftsleitenden Tätigkeiten tatsächlich am Ort der Gewerbesteueroase ausgeübt werden. Gerade im Bereich von Beratungs-, Dienstleistungs- oder Holdinggesellschaften ist dieser Ort nicht immer eindeutig feststellbar.
Je komplexer die Struktur, desto eher besteht das Risiko, dass formale Verlagerungen erfolgen, ohne dass der wirtschaftliche Kern der Tätigkeit den Ort tatsächlich wechselt. In diesem rechtlichen Spannungsfeld bewegen sich zahlreiche Modelle, deren Bewertung stark vom Einzelfall abhängt. Gemeinden, die solche Unternehmen ansiedeln möchten, tun daher gut daran, sich nicht nur auf die kurzfristige Hebesatzwirkung zu verlassen, sondern auch rechtliche Risiken und Rückforderungsgefahren realistisch einzuschätzen
Spannungen zwischen Hoch- und Niedrighebesatzgemeinden
Das Spannungsfeld zwischen Hoch- und Niedrighebesatzkommunen führt zunehmend zu rechtlichen, finanziellen und verwaltungspraktischen Problemen. Hochhebesatzgemeinden, meist Großstädte mit hoher Infrastrukturbelastung, erfahren spät oder gar nicht von einem für sie relevanten Steueraufkommen über angebliche „Scheinbetriebsstätten“ in Niedrighebesatzgemeinden. Die Verwaltungsarbeit ist zwischen Finanzverwaltung und Gemeinden aufgeteilt. Die Gemeinden müssen sich gut über ihre Mitwirkungs- und Auskunftsrechte informieren, um ihre Interessen zu wahren.
Besonderes Augenmerk erfordern zudem die engen Fristen für ein Zuteilungs- bzw. Zerlegungsverfahren. Ein zentraler Aspekt für Hochhebesatzgemeinden ist dabei die Jahresfrist des § 189 Abs. 3 Abgabenordnung. Die Vorschrift begrenzt die Möglichkeit, einen Zerlegungsbescheid neu zu erlassen oder zu ändern, auf ein Jahr nach Unanfechtbarkeit des zugrunde liegenden Gewerbesteuermessbescheids – in der Regel also ab Ablauf der einmonatigen Einspruchsfrist.
Praktische Risiken
Für Kämmerer bedeutet das: Ist die Jahresfrist abgelaufen, kann die gewerbesteuerliche Zuteilung selbst dann nicht mehr korrigiert werden, wenn sich nachträglich herausstellt, dass eine Zerlegung fehlerhaft war – etwa, weil der tatsächliche Sitz des Unternehmens anders zu beurteilen gewesen wäre oder eine etwaige Scheinbetriebsstätte übersehen wurde.
Für Hochhebesatzgemeinden kann dies gravierende finanzielle Folgen haben, etwa wenn sie erst verspätet – etwa durch unterlassene Mitteilung des Steuerpflichtigen oder des Finanzamts – von der Existenz einer möglichen Scheinbetriebsstätte in einer Niedrighebesatzgemeinde erfahren. Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind möglich, aber mit gravierenden formalen und inhaltlichen Hürden versehen. Hier sind schnelle Entscheidungen und schnelles Handeln gefragt.
Niedrighebesatzgemeinden hingegen müssen sich bewusst sein, dass ihre Steueranreize haushaltsrechtliche Unsicherheiten schaffen können. Die Höhe der Gewerbesteuereinnahmen lässt sich nicht verlässlich kalkulieren, wenn Steuern an andere Gemeinden „zurückgezahlt“ werden müssen. Diese Mittel sind meist bereits verplant, was bei Rückforderungen zu strukturellen Problemen im Haushalt führt. Zudem kann es passieren, dass Steuerbescheide von konkurrierenden Kommunen oder dem Finanzamt angegriffen werden. Das kann langwierige und kostenintensive Rechtsstreitigkeiten mit oft ungewissem Ausgang nach sich ziehen. Der kommunale Finanzausgleich kann dies in manchen Fällen abfedern.
Steuerfahndung befragt Niedrighebesatzgemeinden
Die Praxis zeigt, dass Niedrighebesatzgemeinden in jüngster Vergangenheit auch bereits selbst Ziel von Anfragen der Steuerfahndung oder Bußgeld- und Strafsachenstelle waren. Nicht nur die Verantwortlichen der gemeindeansässigen Unternehmen sind Teil der Ermittlungen. Auch die Gemeinden selbst werden mitunter gezielt nach internen Kontrollsystemen und Maßnahmen befragt, die geeignet sind, Steuerbetrug und missbräuchliche Gewerbesteuergestaltungen zu verhindern.
Dabei interessiert die Ermittler insbesondere, ob und wie die Hebesatzberechtigung im Einzelfall von der Gemeinde geprüft wird, ob eine Überprüfung der Geschäftsleitungstätigkeiten an der angegebenen Adresse durch die Gemeinde stattfindet und wie die Verantwortlichen der Kommune mit Auffälligkeiten umgehen. Denkbar sind in diesem Zusammenhang besonders Anmeldehäufungen von Betrieben an einer einzelnen Adresse, die den Verdacht einer Domiziladresse nahelegen oder auffällig hohe Spitzen des Gewerbesteuermessbetrages in zeitlichem Zusammenhang mit einer Sitzverlagerung.
Welches Ziel die Finanzbehörden mit diesem neuen Vorgehen verfolgen, ist noch nicht absehbar. Klar ist jedoch bereits, dass diese Maßstäbe der Finanzverwaltung vor allem kleinere Kommunen mit niedrigem Hebesatz vor praktisch kaum zu bewältigende Probleme in personeller und verwaltungstechnischer Hinsicht stellen. Gerade eine engmaschige Kontrolle der Geschäftsleitungstätigkeiten ist fernab des für die meisten Kommunen realistisch Leistbaren.
Ein Paradigmenwechsel ist im neuen Verhalten der Finanzbehörden auf jeden Fall zu erkennen: Niedrige Hebesätze werden nicht länger nur als Schaffen günstiger Rahmenbedingungen betrachtet – vielmehr erwartet die Finanzverwaltung augenscheinlich zunehmend, dass betreffende Gemeinden aktiv zur Verhinderung missbräuchlicher Steuerverlagerungen beitragen.
Kommunale Steuerpolitik zwischen Legitimation und Reformbedarf
Die Debatte um sogenannte Gewerbesteueroasen offenbart die Bruchlinien zwischen kommunaler Selbstverwaltung, steuerlicher Gestaltungsfreiheit und dem nachvollziehbaren politischen Wunsch nach mehr Steuergerechtigkeit. Sie darf jedoch nicht in einer pauschalen Kritik an Gemeinden münden, die im Rahmen geltender Gesetze wirtschaftsfreundliche Standortpolitik betreiben. Der Einsatz niedriger Hebesätze ist legal und Ausdruck einer verfassungsrechtlich garantierten Finanzhoheit. Gerade strukturschwächere Kommunen nutzen dieses Instrument, um ökonomische Spielräume zu schaffen – nicht um steuerrechtlichen Missbrauch zu befördern.
Der Koalitionsvertrag erkennt diese praktischen Herausforderungen und Konfliktpotenziale, die Anhebung des Mindesthebesatzes allein wird das Spannungsfeld aber nicht entschärfen. Es wird sich zeigen, ob die Politik andere Lösungen findet, die widerstreitenden Interessen aller Beteiligten zu harmonisieren.
Info
Dr. Franz Bielefeld ist Rechtsanwalt und Partner bei der Beratungsgesellschaft Baker Tilly.
Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags ist in der aktuellen DNK-Ausgabe 2/25 erschienen.
