„Ich bin in Ratzeburg aufgewachsen“, sagt Said Ramez Payenda rückblickend über die insgesamt mehr als 14 Jahre in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt. Zwar hat er dort nicht all die Jahre gewohnt, aber wichtige Stationen in seinem Leben durchlaufen. So hatte Payenda 2015 nach dem Abitur in Ratzeburg seine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten begonnen. Seit vier Jahren wohnt er nun in der Stadt, seit 2022 ist er ihr Kämmerer.
So aneinandergereiht in einer Abfolge von Jahreszahlen hört sich die Geschichte des mittlerweile 30-jährigen Afghanen äußerst geradlinig an. Doch das ist sie nicht. Vor ein paar Jahren hätte auch alles ganz anders laufen können. Kurz vor seinen Abiturprüfungen wäre er beinahe abgeschoben worden, aber er konnte das Gericht davon überzeugen, dass er ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft werden wolle.
„Ich habe bis jetzt das Glück gehabt, immer sehr nette Menschen kennengelernt zu haben, die mir Türen geöffnet und nicht im Wege gestanden haben.“
Der Richter hatte ihn damals gefragt, was er in Zukunft in Deutschland machen wolle. „Wir haben hier alles von Ihnen bekommen, eine Wohnung, Sicherheit“, habe ich ihm geantwortet. „Ich will arbeiten und all die Liebe zurückgeben.“ Ihm mache es Spaß, jetzt im Berufsleben den Menschen in Deutschland auch wieder etwas zurückgeben zu können. „Ich habe bis jetzt das Glück gehabt, immer sehr nette Menschen kennengelernt zu haben, die mir Türen geöffnet und nicht im Wege gestanden haben“, so der Kämmerer.
Im August 2010 findet sich Said Ramez Payenda mit seiner insgesamt sechsköpfigen Familie aus Herat, der zweitgrößten Stadt Afghanistans, in der Mitte Schleswig-Holsteins in Neumünster wieder. Drei bis vier Monate später zieht die Familie weiter in die kleine Gemeinde Gudow, dann in die Nähe von Lübeck. „Ich war 16 Jahre alt und wollte in die Schule gehen“, erinnert sich der Kämmerer der Stadt Ratzeburg an seinen Ausgangspunkt auf diesem Weg. In Lübeck sei das allerdings nicht gegangen. Daher habe er sich erkundigt und sei schließlich auf eigene Faust mit dem Bus nach Ratzeburg gefahren. „Am Bahnhof habe ich einen älteren Herrn getroffen und ihn mit Hilfe des Google-Übersetzers nach dem Weg zur Schule gefragt“, sagt Payenda. Der Mann habe ihn allerdings nicht verstanden.
Diese Kommunikationsschwierigkeiten habe wiederum eine junge Frau mitbekommen und ihn mit zum diakonischen Werk genommen. Bei der Diakonie ging das Gespräch dann auf Englisch weiter. Die damalige Chefin habe sein Anliegen erkannt und die Gemeinschaftsschule in Ratzeburg angerufen. Der Schulleiter lud Payenda sofort zum Gespräch ein und fragte sein Können ab. Am nächsten Tag konnte der damals 16-Jährige in der 9. Klasse anfangen.
„Nach einem Monat habe ich meine Tätigkeit im Bürgeramt geliebt. Ich konnte so vielen Menschen helfen.“
Ursprünglich wollte Payenda nach dem Abitur Mathematik und Physik auf Lehramt studieren. Doch er konnte nicht mit dem Studium starten, da er plötzlich abgeschoben werden sollte. Glücklicherweise schaltete sich der damalige Ratzeburger Bürgermeister ein und fragte ihn, ob er nicht eine Ausbildung bei der Stadt machen wolle, um bleiben zu können. Der Bürgermeister habe ihn gut gekannt, da Payenda sich in Ratzeburg zu dem Zeitpunkt bereits ehrenamtlich engagiert hatte. „Am Anfang war es für mich eine Zwangsausbildung“, erinnert sich Payenda. Auf eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten habe er gar keine Lust gehabt. Direkt zu Beginn seiner Ausbildung ist er ins Bürgerbüro gekommen. „Das war ein Glücksfall für mich“, erinnert sich der heutige Kämmerer. „Nach einem Monat habe ich meine Tätigkeit im Bürgeramt geliebt. Ich konnte so vielen Menschen helfen“, sagt Payenda.
Die Ausbildung und hier vor allem die vielen Gesetzestexte seien am Anfang sehr schwierig für ihn zu verstehen gewesen. „Doch es hat mir dann doch viel Spaß gemacht und ich konnte die Ausbildung sogar um sechs Monate verkürzen“, sagt Payenda. Auf die erste Zeit im Bürgerbüro folgten zwei Jahre im Einwohnermeldeamt. Doch dann wurde ihm klar, auf Dauer müsse etwas Anspruchsvolleres her. Payenda machte anstelle seines ursprünglichen Wunschstudiums einen Lehrgang zum Diplom-Verwaltungsfachwirt. „Mein Steckenpferd ist und bleibt die Mathematik. Ich bin ein Theoriemensch“, sagt Payenda. Von daher sei der Weg zur Stadtkämmerei für ihn logisch gewesen. Doch der ursprüngliche Plan sei gewesen, sein Wissen erst einmal zu vertiefen und vielleicht in Zukunft eine Führungsaufgabe zu übernehmen. „Mein Ziel war es weiter zu lernen“, sagt Payenda. Doch plötzlich sei die Möglichkeit gekommen, den Job des Kämmerers direkt zu übernehmen.
Sein Vorgänger, Axel Koop, der gleich zu Beginn seiner Ausbildung eine Vorbildfunktion für Payenda übernommen hatte, wurde 2022 mit erst 30 Jahren Hauptamtsleiter. Und Payenda konnte direkt als Kämmerer nachrücken. „Ich bin einfach in der richtigen Abteilung gelandet“, sagt der Kämmerer heute. „Doch ich war überall der Jüngste als Kämmerer und habe mich schon gefragt, ob die anderen, viel älteren Kollegen und Führungskräfte mich in der Ratzeburger Verwaltung überhaupt akzeptieren würden.“ Diese Sorge stellt sich jedoch schnell als unbegründet heraus. „Auch Herr Koop war ja schon vor mir immer der Jüngste“, sagt Payenda schmunzelnd.
„Mein Steckenpferd ist und bleibt die Mathematik. Ich bin ein Theoriemensch.“
Trotzdem musste er erst einmal in die Themen reinkommen, wie er heute sagt. Das erste große Projekt für ihn als Kämmerer war die Umstellung von der Kameralistik auf die Doppik. „Ich hatte während meiner Ausbildung allerdings nur die Doppik gelernt“, sagt Payenda. Die Umstellung habe dennoch sehr gut geklappt, wenn auch auf den „letzten Drücker“ zum 1. Januar 2024.
Auch wenn sich Payenda vom Berufswunsch des Lehrers zumindest fürs Erste verabschiedet hat, ein paar Parallelen sieht er doch zu seinem ursprünglichen Traumberuf. Am meisten Freude am Amt des Kämmerers bereitet ihm, Zusammenhänge nachzuvollziehen und alles letztendlich der Politik und den Bürgern vorzustellen. „Es macht mir richtig Spaß, beispielsweise Wirtschaftlichkeitsberechnungen aufzustellen und mich dann auf der Grundlage mit den Kollegen zu beraten. Ich mag es gerne, den Kollegen zuzuhören und ihnen weiterzuhelfen“, sagt der Kämmerer. „Romane schreibe ich nicht so gerne“, bringt er es auf den Punkt. Auch den Azubis in der Verwaltung gebe er immer gerne Mathematiknachhilfe und versuche, komplizierte Dinge in einfacher Sprache zu erklären. „Wenn die Leute das verstehen, ist das sehr schön, und ich fühle mich ein bisschen wie ein Lehrer“, sagt Payenda.
Dass ihm das Erklären und Lehren nicht so schnell abhandenkomme, dafür sorgt auch der Fachkräftemangel. „Wir haben ein Problem damit, bei uns Stellen mit qualifizierten Personen zu besetzen“, sagt der Kämmerer. Von acht Mitarbeitern im Finanzbereich haben nur drei eine Ausbildung als Verwaltungsfachangestellte. Dieses Bild sieht der Kämmerer nicht nur in Ratzeburg, sondern in der gesamten Umgebung. „Wir haben noch Glück und viele sehr gute Quereinsteiger, die sich auch weiterbilden wollen“, sagt Payenda. „Wir versuchen als Verwaltung ein attraktiver Arbeitgeber zu sein – mit Angeboten im Gesundheitsbereich, verschiedensten Fortbildungen, einem Mobilitätszuschuss und bis zu 50 Prozent Homeoffice. Bei Menschen, die weiterkommen wollen, funktioniert das, egal ob sie Quereinsteiger sind oder bereits eine Ausbildung als Verwaltungsfachwirt haben“, sagt der Ratzeburger Kämmerer aus Überzeugung.
ak.meves@derneuekaemmerer.de
Info
Der Artikel ist zuerst in der Ausgabe 1/2025 von Der Neue Kämmerer erschienen.
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Anne-Kathrin Meves ist Redakteurin der Zeitung „Der Neue Kämmerer“. Nach dem Studium der Anglistik, Geschichte und Wirtschaftswissenschaften (M.A.) hat sie ein Volontariat beim Deutschen Fachverlag in Frankfurt am Main absolviert. Danach wechselte sie 2011 als Redakteurin zu Frankfurt Business Media, dem FAZ Fachverlag. Zunächst schrieb sie dort für die Magazine „FINANCE“ und „Der Treasurer“. 2018 wechselte sie in das Redaktionsteam von „Der Neue Kämmerer“.

