Das Nutzer­konto für Finanzentscheider im öffentlichen Sektor

Nutzen Sie alle Vorteile von derneuekaemmerer.de – mit nur einem kostenlosen Konto.

Kostenlos registrieren

„Die Kommunen sind in Not“

Artikel anhören
Artikel zusammenfassen
Teilen auf LinkedIn
Teilen per Mail
URL kopieren
Drucken

Herr Schuchardt, Ihr Karriereweg führt Sie zum Kämmerer, dann zum Oberbürgermeister und nun zum Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags. Sie verfügen über einen reichen Schatz an kommunaler Praxiserfahrung. Was davon nehmen Sie mit in Ihr neues Amt?
Ich möchte eines vorwegschicken: Ich habe für meinen Dienstantritt bewusst einen Termin in Köln bei einer Vorstandssitzung des nordrhein-westfälischen Städtetags gewählt. Diesen Akzent wollte ich setzen und damit zeigen, dass ich der Doppelfunktion, die das Amt mit sich bringt – Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags und Geschäftsführer des nordrhein-westfälischen Städtetags in Personalunion zu sein – zwischen Köln, Berlin und dem Rest der Republik entspreche. Was Ihre Frage nach dem „Seitenwechsel“ vom Oberbürgermeister zum Interessenvertreter der Städte betrifft, ist es ein folgerichtiger Schritt. Der Städtetag bündelt die Interessen der dritten Ebene des Staates und transportiert sie auf die Ebenen der Länder und des Bundes. Wichtig ist, die praktischen Erfahrungen der Städte in Gesetzgebungsverfahren einzubringen und umgekehrt Vorhaben der Länder und des Bundes sowie deren kommunale Relevanz in Richtung der Städte zu kommunizieren. Diesbezüglich vertrete ich nun nicht mehr nur die „eigene“ Stadt, sondern die Perspektive aller Städte und Gemeinden, die im Deutschen Städtetag zusammengeschlossen sind, mit rund 53 Millionen Einwohnern – und mit ihren jeweiligen lokalen Eigenheiten. Diese kommunale Vielgestaltigkeit reizt mich sehr.

Unter all den lokalen Eigenheiten und strukturellen Besonderheiten, die die Städte prägen – vor welchen übergreifenden Herausforderungen stehen sie denn?
Menschen machen ihre Stadt. Damit meine ich: Der soziale Zusammenhalt ist für die Zukunftsaussichten einer Stadt entscheidend. Ihn zu sichern, ist eine dauerhafte Aufgabe, die in einer Zeit umso wichtiger ist, in der tiefgreifende Veränderungen wie der demografische Wandel, Zuwanderung, eine Neuausrichtung von Arbeitswelten oder gesellschaftliche Umbrüche stattfinden. Es geht darum, Stadtidentitäten zu formen. Dazu gehören nicht zuletzt bauliche Veränderungen – ich denke an den Funktionswandel der Innenstädte oder die Transformation großer Warenhausimmobilien in vielen Zentren. Ebenso erfordert der Klimawandel nicht nur städtebaulich Klimaanpassung, sondern darüber hinaus auch eine umfassende Transformation des Verkehrssystems und der Energieversorgung. All diese Megathemen stehen unter zwei Vorzeichen. Erstens ist eine Aufgabenverlagerung auf die kommunale Ebene festzustellen, die trotz ausformulierter Konnexität oft zu ihren Lasten geht. Das hängt, zweitens, mit der kommunalen Finanzausstattung zusammen. Das KfW-Kommunalpanel beziffert den kommunalen Investitionsstau mit rund 216 Milliarden Euro. Und hinsichtlich der kommunalen Haushalte schlug 2024 ein Defizit von rund 25 Milliarden Euro zu Buche. Die Kommunen sind in Not.

Sie treten also in einer Zeit der Krise an…
Nun ja, als ich vor 20 Jahren Kämmerer der nordrhein-westfälischen Stadt Schwerte war, ächzten bereits viele Kommunen unter defizitären Haushalten. Ich kann die Not auf der lokalen Ebene also nachempfinden – und zwar nicht nur die haushalterischen Zwänge, denen lokalpolitische Entscheider unterworfen sind, sondern auch den Erwartungsdruck, der von Teilen der Bevölkerung auf sie ausgeübt wird. Ich denke, diese Erfahrung kann helfen, Finanzthemen gegenüber den Ländern und dem Bund praxisnah zu transportieren.

Stichwort Kommunalfinanzen.
Sie sind Mittel zum Zweck. Geld ist kein Selbstzweck. Die Bürger erleben den Staat auf der kommunalen Ebene. Hier zeigt sich seine Funktionsfähigkeit. Und wenn Kommunen nicht adäquat ausgestattet sind, führt dies oft zu Frustration in der Stadtgesellschaft. Die kommunale Mittelausstattung ist also entscheidend für die Wahrnehmung des Staates. Diese Erkenntnis gilt es zu verinnerlichen. Grundsätzlich erlebe ich ein offenes Ohr von Ländern und Bund für kommunale Belange, gleichzeitig stellen sich allerdings handwerkliche Fragen. Nehmen wir das geplante Sondervermögen für Infrastruktur in Höhe von 100 Milliarden Euro, bei dem der kommunale Anteil mit ursprünglich 60 Prozent definiert war. Dass diese 60-Prozent-Regel nun im Gesetzestext fehlt, ist nicht sachgemäß. Schließlich beträgt der kommunale Anteil an öffentlichen Investitionen in den Bundesländern rund 65 bis 80 Prozent. Entsprechend fordern wir einen fairen Anteil am Investitionsprogramm. Demgegenüber ist zu begrüßen, dass der Bund die Einnahmenausfälle, die sich aus dem sogenannten Investitions-Booster für Kommunen ergeben, durch eine Anhebung ihrer Beteiligung an der Umsatzsteuer ausgleichen will.

„Der Bund muss in vielen Bereichen dringend Klarheit schaffen“

Doch es geht nicht nur ums „laufende Geschäft“, sondern auch um Investitionen in die Zukunft…
Hier muss der Bund in vielen Bereichen dringend Klarheit schaffen. Nehmen wir die Finanzierung der Verkehrswende und der Energiewende am Beispiel der Stadt Würzburg, deren Oberbürgermeister ich bis vor wenigen Tagen war. Hier haben Stadt und Stadtwerke ein Investitionsprogramm in der Größenordnung von zwei Milliarden Euro aufgelegt. Natürlich geht es auch um die Frage nach finanzieller Unterstützung durch Bund und Länder – aber nicht nur. Denn wichtig bei der Investition solcher Summen ist vor allem die Klarheit bezüglich der Rahmenbedingungen und regulatorischer Einschnitte. Das größte Investitionshemmnis – nicht nur für Stadtwerke und Kommunen, sondern auch für die private Wirtschaft – ist Unsicherheit bezüglich der Voraussetzungen. Wie gestaltet sich der Abschreibungszeitraum einer Investition, wie die technische Nutzungsdauer, welche Technologien werden priorisiert? Es braucht einen Masterplan für die Energiewende. Darüber hinaus darf nicht der Effekt eintreten, dass in den finanziell besser aufgestellten Städten die Energiewende stattfindet, wohingegen die finanzschwächeren bei fossilen Brennträgern verharren. Das Streben nach Klimaneutralität und Dekarbonisierung darf keine Frage der individuellen Stadtfinanzen sein, sondern es muss den deutschen Städten gleichermaßen möglich sein, sich dahingehend zu entwickeln.

Die Bundesregierung hat sich Entbürokratisierung und Digitalisierung auf die Fahne geschrieben, dafür sogar ein neues Ministerium eingerichtet. Wie blicken Sie aus kommunaler Sicht darauf?
Wir müssen zu einer effizienteren Arbeitsteilung kommen. Wenn es selbst in der Kreditwirtschaft, nämlich in der dezentralen Welt der Sparkassen, gelingt, in einem einheitlichen System zu arbeiten, sollte uns Kommunen das in ähnlicher Weise möglich sein. Doch die kommunale Welt ist von einer solchen Lösung noch sehr weit entfernt. Gerade die Digitalisierung bietet nicht zuletzt hinsichtlich der Personalknappheit Möglichkeiten, weisungsgebundene Staatsaufgaben, die auf der kommunalen Ebene routinemäßig und mit wenig Ermessensspielraum erfüllt werden, zu straffen. Dazu gehört, dass Bund und Länder bereits bei der Formulierung von Gesetzen nicht nur den Sollzustand, sondern auch die Umsetzbarkeit und Finanzierung betrachten. Es gibt hier nicht die eine Stellschraube, aber grundsätzlich könnte eine größere Achtsamkeit hinsichtlich der Umsetzungspraxis zur Gesundung der kommunalen Ebene und zur Leistungsfähigkeit des Staates beitragen.

In Sachen Digitalisierung und Einheitlichkeit kommen wir schnell in die Diskussion um kommunale Selbstverwaltung. Wie zentral kann die Aufgabenerledigung gesteuert werden?
Natürlich darf es dort, wo die Lokalpolitik entscheidet, keine Eingriffe geben. Aber andererseits gibt es wohl keinen Oberbürgermeister, der sich im Bereich der Aufgaben, bei denen Kommunen wenig Gestaltungsspielraum haben und die sie routinemäßig erfüllen, gegen eine effiziente, gebündelte Lösung stemmt, die auch noch finanzielle Vorteile und eine Arbeitsentlastung mit sich bringt. Bei der Aufgabenkritik ist überdies zu beachten: Nicht jede Kommune verfügt über dieselben Ressourcen. Eine Großstadt hat in der Regel, was ihre IT-Abteilung betrifft, eine größere Schlagkraft als ein Mittelzentrum. Auch deswegen ist es sinnvoll, stärker vernetzt zu arbeiten, standardisierte Architekturen für die Umsetzung neuer Gesetze zu nutzen, Schnittstellen zu schaffen, gegebenenfalls sogar zu kooperieren, um so Aufgaben effizient erbringen und Ressourcen entlasten zu können. Wie das genau geht? Darüber muss man reden. Aber es kann nicht sein, dass der Bürger einen Antrag digital einreicht, das Dokument dann im Amt ausgedruckt, händisch erfasst und im Aktenordner abgeheftet wird. So macht Digitalisierung wenig Sinn.

Wagen wir einen Blick über den Stadtrand: Russlands fortdauernder Angriff auf die Ukraine, geopolitische Turbulenzen durch das disruptive Auftreten des US-Präsidenten Donald Trump, das globale Ringen gegen den Klimawandel. Städte sind davon nicht losgelöst, sie agieren im internationalen Geflecht. Wie sehen Sie die Rolle der Städte im globalen Kontext?
Ich bin derzeit turnusgemäß Generalsekretär der Deutschen Sektion im Rat der Gemeinden und Regionen Europas. Bei der Übernahme dieser Funktion wechseln sich die drei kommunalen Spitzenverbände ab. Insofern habe ich die internationale Rolle der Städte im Fokus. Das internationale Engagement der deutschen Städte und dessen Relevanz zeigte sich etwa vor wenigen Wochen bei der Ukrainekonferenz in Münster. Zwar sind die Handlungsspielräume für Städte je nach Land sehr unterschiedlich ausgeprägt. Deutschland setzt stark auf kommunale Selbstverwaltung, in anderen Ländern ist das Maß an Zentralisierung höher. Trotzdem ist der interkommunale, grenzüberschreitende, städtediplomatische Austausch zentral bei der Bewältigung globaler Herausforderungen. Denn die Städte sind mit ihrer besonderen Nähe zur Bevölkerung und zu lokalen Problemlagen wichtige Lösungsfinder. Zudem haben sie eine verbindende Kraft. Am Beispiel der Städtekooperationen im Ukrainekonflikt ist dies sichtbar. Und die Städtepartnerschaften in die USA sind stabile transatlantische Anker. Städte suchen pragmatisch nach Lösungen, die auf das Zusammenleben in der Stadtgesellschaft ausgerichtet sind. Diesbezüglich agiert die kommunale Ebene angesichts internationaler Zerwürfnisse oftmals sehr vernünftig und „hands on“.

a.erb@derneuekaemmerer.de

Info

Dieses Interview ist zuerst bei der DNK-Schwesterpublikation #stadtvonmorgen erschienen.

Andreas Erb

Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Er arbeitet insbesondere an der Weiterentwicklung der Plattform #stadtvonmorgen und berichtet dabei vorwiegend über urbane Transformationsprozesse. Für die Redaktion von „Der Neue Kämmerer“ beleuchtet er diese Themen aus Perspektive der Kommunalfinanzen. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.