Fast die Hälfte des Sondervermögens wird zweckentfremdet

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kritisiert die Verwendung des Sondervermögens Infrastruktur und Klimaneutralität scharf. Wie aus einem Kurzbericht des Instituts hervorgeht, fließt fast die Hälfte der Mittel nicht in zusätzliche Investitionen. „Mit diesem Verschiebebahnhof gefährden Bund und Länder die Zukunftsfähigkeit Deutschlands“, warnt IW-Finanzexperte Tobias Hentze.Nach Berechnungen des IW werden zwischen 2025 und 2029 von den neuen Krediten in Höhe von 271 Milliarden Euro nur rund 140 Milliarden tatsächlich zusätzlich investiert. Der Rest – laut Hentze bis zu 133 Milliarden Euro bzw. knapp 50 Prozent – wird zweckentfremdet. Damit werde der ursprüngliche Anspruch des Sondervermögens, „Brücken, Bahn und Schulen zu sanieren und die Transformation voranzubringen“, nach Überzeugung des IW weitgehend verfehlt.Zu bescheiden bei der InvestitionsquoteFormell halte die Bundesregierung zwar die im Gesetz verankerten Anforderungen ein. Doch wirtschaftlich sei die Wirkung deutlich geringer. Das liegt laut Hentze an einer „ökonomisch nicht überzeugenden Definition der Zusätzlichkeit“, die der Bundesregierung „Möglichkeiten zur Zweckentfremdung“ eröffne. Insbesondere die gesetzlich festgelegte Mindestinvestitionsquote von zehn Prozent sei „ambitionslos“. Tatsächlich habe die Investitionsquote des Bundes in den vergangenen Jahren bei rund elf Prozent gelegen. „Eine geplante Investitionsquote von zehn Prozent ist keine Garantie dafür, dass das Investitionsziel im Haushaltsvollzug auch erreicht wird“, schreibt Hentze.Zudem wendet die Regierung bei der Berechnung der Quote ein fragwürdiges Verfahren an: Verteidigungsinvestitionen, die über Kredite finanziert werden, fließen in den Zähler ein, werden im Nenner aber ausgeklammert. „Bei Ausblenden der Verteidigungsinvestitionen fällt die Investitionsquote geringer aus“, so das IW. Auf diese Weise erscheine der Investitionsanteil in der Bilanz höher, als er tatsächlich ist.Buchungstricks und fragwürdige UmwidmungenDarüber hinaus kritisiert das Institut eine ganze Reihe von Buchungstricks und Umwidmungen zwischen Kernhaushalt und Sondervermögen. Statt neue Projekte anzustoßen, werden bereits geplante Maßnahmen aus dem Kernhaushalt ins Sondervermögen verschoben, etwa Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, den Breitbandausbau oder in Krankenhäuser. So deckt das Sondervermögen im Jahr 2026 sechs Milliarden Euro für Krankenhäuser ab, die ursprünglich von Ländern und Krankenkassen finanziert werden sollten. Gleichzeitig steigen im Kernhaushalt formal investive Posten wie Umschuldungszahlungen und Rückstellungen, ohne dass tatsächlich neue Infrastruktur entsteht.Im Bundeshaushalt finden sich zudem Positionen wie „Vorsorge Ausgabereste Investitionen“, die als Investitionen verbucht werden, ohne dass sie unmittelbar in Infrastruktur oder Klimaschutz fließen. „Auch wenn diese Ausgaben in der Haushaltsrechnung des Bundes ‚zusätzlich‘ sind, handelt es sich um einen Etikettenschwindel“, heißt es im Bericht.Unerfüllte VersprechenTobias Hentze betont, dass das Sondervermögen grundsätzlich richtig sei, um die marode Infrastruktur und die dringend notwendige Transformation schnell voranzubringen. „Tatsächlich werden damit jedoch zum Teil Haushaltslöcher gestopft.“ Damit drohe das politische Versprechen, neue zusätzliche Projekte auf den Weg zu bringen, unerfüllt zu bleiben.In letzter Konsequenz werde der ökonomische Effekt auf Wachstum und Zukunftsorientierung ausbleiben, ist das IW überzeugt. „Die Politik muss einhalten, was sie versprochen hat: zusätzliche Projekte für Infrastruktur und Klimaneutralität auf den Weg zu bringen. Sonst vergibt sie die Chance auf langfristiges Wachstum“, sagt Hentze.Keine Lust auf Konsolidierung?Insgesamt sei das Sondervermögen zum „Verschiebebahnhof“ zwischen konsumtiven und investiven Ausgaben geworden. Anstatt mehr Investitionen zu ermöglichen, erspare es dem Bund Konsolidierungsmaßnahmen. Unterm Strich bleibe der politisch versprochene Fokus auf Infrastruktur und Klimaneutralität zur Erhöhung des Potenzialwachstums bisher in Teilen aus. „Es fehlt offensichtlich der Wille ausschließlich neue, bislang nicht geplante Investitionen zu tätigen“, fasst Hentze zusammen.a.mohl@derneuekaemmerer.de

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