Herr Riedel, mit Ihrem letzten Arbeitstag am 30. April werden Sie genau 15 Jahre Kämmerer der Stadt Nürnberg gewesen sein, davor waren Sie bereits sechs Jahre ehrenamtliches Stadtratsmitglied, seit Mai 2017 sind Sie zusätzlich für die Bereiche Personal, IT und Organisation verantwortlich – was werden Sie am meisten vermissen?
Vermissen werde ich mein Team und die Arbeit in den überregionalen Gremien, insbesondere natürlich meine Tätigkeit als Vorsitzender des Finanzausschusses des Deutschen Städtetages. In Nürnberg war mir das Thema
„Zukunftsinvestitionen in Infrastruktur, Bildung und Betreuung“ wichtig. Ich habe 2008 unsere Investitionsausgaben hochgefahren, um den Stau bei den Investitionen frühzeitig anzugehen. Außerdem haben wir ein gut funktionierendes Bauinvestitionscontrolling eingeführt, um die Kosten im Griff zu halten.
Welche Themen sind Ihnen in dieser Zeit am meisten ans Herz gewachsen?
In den vergangenen Jahren lagen mir die Themen Digitalisierung und zukunftsfähige IT am Herzen, dazu der Aufbau eines modernen Personalmanagements, das die Herausforderungen des Fachkräftemangels und des demographischen Wandels bewältigt. Eine leistungsfähige Verwaltung und stabile kommunale Finanzen halte ich für eine der tragenden Säulen für Demokratie und Zusammenhalt in unserem Land.
Sie haben gerade das Stichwort Infrastrukturinvestitionen genannt, was haben Sie in Nürnberg seit 2008 auf die Beine gestellt?
Ein großes Thema war die Schulsanierung, aber auch der Schulneubau, der Krippen-, Kita- und Hortausbau. Wie in vielen großen Städten im Westen Deutschlands haben wir im Bereich der Krippen- und Hortplätze praktisch bei null angefangen, obwohl es schon seit den Nullerjahren erwiesen war, dass der Bedarf in dem Bereich besonders groß sein würde. Insgesamt haben wir bisher 11.000 Betreuungsplätze geschaffen. In Bayern liegen wir damit im Städtevergleich bei den Betreuungsquoten vorne. Das war ein Kraftakt, aber er hat sich gelohnt.
Auch in wirtschaftlicher Hinsicht?
Seit den 1980er Jahren gab es einen starken Strukturwandel in Nürnberg. Mehrere tausend Arbeitsplätze, etwa bei AEG und Quelle, gingen verloren. Diesen Strukturwandel haben wir mittlerweile gut bewältigt. Der Ausbau der Kinderbetreuung hat sicherlich dazu beigetragen, dass wir mittlerweile wieder ein Top-Wirtschaftsstandort in Bayern sind. Wir haben viele Unternehmen mit Zukunftstechnologien in Nürnberg und sehen den Erfolg auch an den guten Gewerbesteuereinnahmen.
Neue Wege sind Sie auch in Finanzierungsfragen gegangen. 2013 hat die Stadt Nürnberg beispielsweise zusammen mit Würzburg eine kommunale Gemeinschaftsanleihe begeben und damit eine Vorreiterrolle eingenommen. Inwiefern hat Ihnen das als Kämmerer geholfen?
Das hat uns schon einen guten Ruf eingebracht und dann später bei der Aufnahme von Schuldscheindarlehen oder der Finanzierung von ÖPP-Projekten geholfen. Die Zusammenarbeit mit den Banken und Versicherungen
war immer auf Augenhöhe, die wussten, dass wir es können. Dass wir als Kommune diese Instrumente beherrschen, ist ein wesentlicher Vorteil insbesondere in den Zeiten, in denen es enger ist bei den Finanzierungen.
Wie bewerten Sie das Thema Finanzierungen derzeit, wie treffen Sie die steigenden Zinsen in Nürnberg?
Wir haben zum Glück sehr viele sehr langfristige Finanzierungen in den vergangenen Jahren abschließen können. Bei einem großen Teil unseres Kreditportfolios trifft uns das Zinsthema daher aktuell nicht. Doch wir haben einen hohen Investitionsbedarf und erst Anfang des Jahres einen Kredit aufgenommen. Insgesamt bekommen wir auf unsere Ausschreibungen noch sehr viele und gute Angebote seitens der Banken.
Nürnberg hat beim Thema Finanzierungen häufiger eine Vorreiterrolle eingenommen. Wie stehen Sie zum Thema nachhaltige Finanzierungen?
Es wäre möglich, dass Nürnberg einen Green Bond auflegt. Intern haben wir uns dazu schon einmal Gedanken gemacht und im Prinzip wären wir vorbereitet. Nebenbei gesagt waren wir auch die erste Kommune in Deutschland, die von der CEB, der Entwicklungsbank des Europarates, eine Kommunalfinanzierung bekommen hat.
Vor Ihrer letzten Wiederwahl im September 2019 wurde die Amtszeit auf Ihren Wunsch hin auf drei Jahre verkürzt. Was waren die Gründe dafür?
Ich halte nichts von zu langem Verharren in öffentlichen Ämtern, sondern bin der Überzeugung, dass es schon seinen Sinn hat, dass Vorstände bei Unternehmen wie BMW oder Siemens nicht zu lange über ein Alter von 60
Jahren hinaus in der Verantwortung bleiben. Deshalb wollte ich diese Entscheidung frühzeitig und selbstbestimmt treffen. Für mich, aber auch für die Stadt. Ich bin dann 62, fast drei Jahrzehnte im Nürnberger Rathaus, habe mit 17 begonnen zu arbeiten, mein Studium mit Nachtschicht finanziert und seitdem immer an der Belastungsgrenze gearbeitet. Außerdem spüre ich seit einiger Zeit, dass ich nicht mehr allen aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen gegenüber offen bin. Deshalb ist der Wechsel gut für Nürnberg, mit Thorsten
Brehm kommt jetzt eine neue Generation ans Ruder.
Woran merken Sie, dass Sie nicht mehr allem Neuen gegenüber offen sind?
Nur um ein Beispiel zu nennen: Die politischen Entscheidungen sind heute sehr stark durch Entwicklungen bei Social Media getrieben. Ich sehe dies zum Teil kritisch.
Die vergangenen drei Jahre Ihrer noch laufenden Amtszeit waren zudem extrem ereignisreich, angefangen mit der Coronapandemie über den Krieg in der Ukraine bis zu den daraus resultierenden steigenden Energiekosten. Hätten Sie mit Blick auf Ihre Wiederwahl anders entschieden, wenn Sie das vorher gewusst hätten?
Nein, solche sehr persönlichen Entscheidungen kann man nicht von der Tagespolitik abhängig machen. Zudem sollte man die eigene Bedeutung auch nicht überschätzen. Die Stadt Nürnberg hat eine handlungsfähige Stadtspitze und Verwaltung auch nach dem 1. Mai, das ist sicher.
Mitte November 2022 hat der Stadtrat den Haushalt für 2023 beschlossen. Darin verordnen Sie der hoch verschuldeten Stadt eine harte Sparkur. Warum denken Sie, dass jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist?
Weil es nicht anders ging. Nach der Kommunalwahl im März 2020 hatte der Stadtrat in einer gewissen Aufbruchseuphorie neue Ausgaben in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe beschlossen, die unser Haushalt so nicht auf Dauer tragen kann. Das war politisch nachvollziehbar, aber eben zu viel. Unsere dauerhafte Leistungsfähigkeit war nicht mehr gegeben, die letzte Haushaltsgenehmigung für 2022 hatten wir schon nur noch knapp bekommen, und es war klar, ohne einen harten Schnitt wäre es 2023 nicht mehr weitergegangen. Ich bin sehr dankbar, dass wir in Nürnberg noch eine gute politische Kultur der Zusammenarbeit im Stadtrat haben, wenn es eng wird. Der Beschluss zum 52-Millionen Euro-Sparpaket wurde mit Unterstützung
des Oberbürgermeisters und einer breiten Mehrheit aus CSU, SPD und Grünen gefasst. Damit bleibt Nürnberg in Zukunft finanziell handlungsfähig.
Wie erklären Sie sich rückblickend diese Euphorie mitten in der Coronapandemie?
Wir hatten nach der Kommunalwahl viele neue Stadträtinnen und Stadträte, einen jungen neuen Oberbürgermeister. Eine Zeitlang ist nach meinem Eindruck die Frage der Finanzierbarkeit zu arg in den Hintergrund getreten. Das musste jetzt korrigiert werden. Zum Beispiel wurde ein Sozialticket im ÖPNV für 15
Euro im Monat eingeführt. Bundesweit war das ein Leuchtturmprojekt, das aber den städtischen Haushalt 20 Millionen Euro jährlich kostet. Zwischenzeitlich wurde das 365-EuroTicket beschlossen, das ist aber mittlerweile
wieder kassiert und die Diskussion durch das neue Deutschlandticket beendet worden.
Was sind die gewichtigsten Punkte des Sparpakets?
Der größte Block sind 35 Millionen Euro Personaleinsparungen, knapp 500 Stellen sollen gestrichen werden. Acht bis zehn Millionen Euro werden wir bei den Stadtwerken einsparen müssen. Der Rest sind klassische
Sparthemen. Im Bereich Kultur wird es bestimmte Veranstaltungen nur noch im Zweijahresrhythmus geben.
Wie wird es mit dem derzeitigen Schuldenstand von rund 1,6 Milliarden Euro im städtischen Haushalt weitergehen?
Das Sparpaket hilft uns, den Schuldenstand langsamer wachsen zu lassen. Es bremst den Anstieg.

Grafik by Gymmick
Im vergangenen Jahr haben Sie eine Karikatur in Auftrag gegeben, die die Finanzsituation in Nürnberg anschaulich anhand eines völlig überlasteten Esels darstellt. Wollten Sie damit allen Akteuren deutlich machen, wie es um Nürnberg steht?
Ja natürlich, es war fünf vor zwölf. Die Karikatur hat die beabsichtigte Wirkung erzielt. Das Thema betrifft aber nicht nur Nürnberg. Unsere Haushalte und Verwaltungen sind am Anschlag nach fast drei Jahren Corona, Gaskrise und den großen Herausforderungen der Klima- und Energiewende, Digitalisierung, Fachkräftemangel sowie immer weiteren Aufgaben wie etwa der geforderten Ad-hoc Umsetzung des „Wohngeld-Plus“.
Wenn Sie als Kämmerer drei Wünsche Richtung Berlin frei hätten, welche wären das?
Erstens keine weiteren aufwendigen Förderprogramme, sondern eine bessere direkte Finanzausstattung zum Beispiel über einen zusätzlichen Anteil an der Umsatzsteuer. Zweitens die Einführung von direkten Klimabudgets für die Kommunen entsprechend dem Städtetag-Konzept zur Finanzierung von Klima- und Energiewende. Drittens eine unmittelbar einsetzende Gesetzesbeschlussdiät, die es erlaubt, dass wir als Kommunen die Gesetze, die da sind, erst mal vernünftig umsetzen können.
Sie erwähnten gerade das Städtetagskonzept, um wie viel Geld geht es bei den Klimaausgaben in Nürnberg?
Das Konzept ist nicht beziffert. Ich würde es für notwendig erachten, dass der Bund mindestens die Hälfte der Klimaausgaben tragen würde. Das wären auf Nürnberg bezogen in den nächsten 15 Jahren 50 Millionen Euro pro Jahr. Die anderen 50 Millionen Euro müssten wir selbst tragen.
Ihr Nachfolger Thorsten Brehm steht bereits fest. Was möchten Sie ihm mit auf den Weg geben?
Es gilt der alte Satz dazu: Ratschläge des Vorgängers sind meistens eher Schläge. Thorsten Brehm wird das gut machen und seinen eigenen Weg gehen.
Welche Pläne haben Sie für die Zeit ab dem 1. Mai?
Alles, wofür bisher kaum Zeit war: viel reisen, viel lesen, Freunde treffen, Sport treiben, und dazu will ich mal sehen, welche Aufgaben ich an anderer Stelle noch übernehmen kann.
Info
Das Interview mit Nürnbergs Stadtkämmerer Harald Riedel ist zuerst in der aktuellen Ausgabe 1/2023 von Der Neue Kämmerer erschienen.Hier geht es zum Zeitungsabo und hier zur Newsletter-Anmeldung.