Zur Entlastung des Kernhaushalts mobilisiert die Stadt Lünen seit dem Jahr 2024 ihre Konzerngewinne, die den Beteiligungen im Wege der Kapitalerhöhung umgehend wieder zur Verfügung gestellt werden. Durch die Bildung von „kleinen steuerlichen Querverbünden“ wird die zuvor abgeführte Kapitalertragssteuer durch das Finanzamt wieder erstattet.
Die begleitende lokale Presseberichterstattung hat in Lünen hohe Wellen geschlagen. Dabei ist das sogenannte „Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren“ ebenso wenig genuin für Lünen – der große städtische Nachbar in Dortmund macht es mit seiner Tochter DSW21 auch (Beushausen, Ruhr Nachrichten (RN) vom 26.09.2024) –, wie die Bildung sogenannter „gewillkürter Betriebsvermögen“ rechtswidrig wäre. Man sah sich sogar veranlasst, diese Vorgänge in Lünen überhaupt in die Nähe der Hamburger Cum-Ex- bzw. Cum-Cum-Geschäfte zu rücken – um einen solchen Zusammenhang dann freilich zu verwerfen (vom Hofe, RN vom 16.09.2024) – und den Stadtkämmerer und Autor dieses Beitrags als waghalsigen Hochseiltänzer zu karikieren (Schwarze-Blanke, RN vom 21.09.2024), dessen ungelenke Akrobatik dem weltweit berühmt gewordenen Zirkus Sarrasani vermutlich mehr Schande als Ehre bereitet hätte.
Soweit und solange dabei mit einer gleichsam souveränen Sturheit behauptet wird, es handele sich bei der Bildung gewillkürter steuerlicher Querverbünde und beim „Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren“ um „Buchungstricks mit Steuergeld“ (so schon vom Hofe, RN vom 04.01.2024), wird der Leserschaft gegenüber latent offengelassen, ob hinter dem Vorgehen der Stadt lediglich ein (rechts-)wirksames Vorgehen oder doch eher ein unerlaubtes bzw. betrügerisches Manöver vermutet werden darf – schließlich lässt Duden für „Tricks“ ja beide Deutungsansätze zu. Umso mehr gebietet es einer sorgfältigen Einordnung dieser steuerrechtlich durchweg legitimen und etablierten Haushaltsinstrumente.
Anerkanntes Gestaltungsinstrument
Unter dem „Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren“ wird ein von Finanzverwaltung und Rechtsprechung anerkanntes Gestaltungsinstrument verstanden (Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 19.08.1999, I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43), in dessen Rahmen Gewinne einer Beteiligungsgesellschaft verbunden mit der Verpflichtung an die Gesellschafter ausgeschüttet werden, die ausgeschütteten Beträge im Wege der Kapitalerhöhung wieder an die Gesellschaft zurückzuführen. Der ausgeschüttete Gewinn kann hierdurch im städtischen Haushalt ertragswirksam berücksichtigt werden. Die anschließende Kapitalerhöhung wird hingegen außerhalb der Ergebnisrechnung im Investitionshaushalt abgebildet. Hierdurch kommt es zu einer Aufdeckung von stillen Reserven, wodurch der Buchwert der Beteiligung im Rahmen des städtischen Jahresabschlusses entsprechend zu erhöhen ist. In der Bilanz der Beteiligung erfolgt lediglich eine Verschiebung von Bilanzpositionen innerhalb des Eigenkapitals – von den Gewinn- in die Kapitalrücklagen.
Die Gewinnanteile aus Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung gehören nach § 20 Absatz 1 Nummer 1 Einkommensteuergesetz (EStG) zu den Einkünften aus Kapitalvermögen, so dass Kapitalerträge nach § 43 Absatz 1 Satz 1 EStG dem Kapitalertragssteuerabzug unterliegen. Die Kapitalertragssteuer beträgt hiernach 25 Prozent, solange tatbestandlich keine reduzierte Kapitalertragssteuerpflicht von 15 Prozent gegeben ist. Hinzu kommt der Solidaritätszuschlag mit 5,5 Prozent der Kapitalertragssteuer.
Steuerliche Querverbünde
Die Stadt Lünen hält unter anderem Beteiligungen an zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung, und zwar 100 Prozent der Anteile an den Stadtwerken Lünen GmbH (SWL) und 51 Prozent der Anteile an den Wirtschaftsbetrieben Lünen GmbH (WBL). Beide Beteiligungen, die bislang im Hoheitsvermögen der Stadt gehalten wurden, werden nunmehr unter den Gesichtspunkten des gewillkürten Betriebsvermögens in dauerdefizitäre Betriebe gewerblicher Art („kleine steuerliche Querverbünde“) eingelegt, und zwar jeweils in die Betriebe gewerblicher Art „Kindergärten“ sowie „Jugendveranstaltungen“. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat gegen eine solche Einlagefähigkeit bislang keine Bedenken erhoben (BFH, Beschluss vom 25.07.2002, I B 52/02) und als notwendige Voraussetzung hierfür erachtet, dass das eingelegte Wirtschaftsgut (Beteiligung) für den Betrieb gewinnbringend ist (BFH, Urteil vom 18.10.2006, IX R 28/05, sowie Urteil vom 19.02.1997, XI R 1/96). Auch die Finanzverwaltung geht davon aus, dass Betriebe gewerblicher Art gewillkürte Betriebsvermögen bilden können (Arbeitshilfe OFD NRW, Besteuerung der jPdöR, Stand 29.06.2022).
Gewinnausschüttungen stellen bei Betrieben gewerblicher Art Betriebseinnahmen dar, die bei der Ermittlung des steuerlichen Einkommens außer Ansatz bleiben. Die hieraus abgeleiteten, nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben in Höhe von 5 Prozent können mit den originären Verlusten verrechnet werden, so dass in Lünen das zu versteuernde Einkommen jeweils negativ bleibt und keine Körperschaftssteuer abzuführen ist. Die zuvor im Rahmen der Gewinnausschüttung einbehaltene Kapitalertragssteuer inklusive des Solidaritätszuschlags wird insoweit im Rahmen der Körperschaftssteuererklärung erstattet – und zwar unabhängig davon, ob es sich um ordentliche Gewinnausschüttungen oder um solche im Rahmen des „Schütt-aus-hol-zurück-Verfahrens“ handelt.
Die durch dieses Verfahren für die Stadt Lünen erzielbaren Kapitalertragssteuervorteile liegen nach der mittelfristigen Finanzplanung jährlich im hohen sechsstelligen Bereich (weiterführend vergleiche Stadt Lünen, VL-152/2024 sowie VL-153/2024, jeweils vom 30.07.2024). Mit den in Anlehnung an § 89 Absatz 2 Abgabenordnung verbindlichen Auskünften des Finanzamts Dortmund-Unna vom 04.03.2024 wurde sowohl die Einlagefähigkeit als auch die Möglichkeit der Verrechnung der Beteiligungserträge mit den Verlusten der Betriebe gewerblicher Art positiv bestätigt.
Steueroptimierungen – kein Armutszeugnis
„Diese kreative Buchführung ist ein Armutszeugnis“ titelten die Ruhr Nachrichten schließlich (vom Hofe, RN vom 17.09.2024), weil der Stadtkämmerer in der eigenen Haushaltsnot den übergeordneten staatlichen Ebenen Steuern, als deren wichtigste Einnahmequelle, vorenthalten würde, anstatt Kreativität in die Gestaltung der Stadt zu stecken. Angesichts der chronischen Unterfinanzierung der Kommunen seien die „Lüner Steuertricksereien“ (ebd.) nur ein Tropfen auf den heißen Stein und würden bei den Bürgerinnen und Bürgern den Eindruck verfestigen, „dass am Ende nur der Dumme Steuern zahlt“ (ebd.).
Starker Tobak. Allein der vermeintliche, hier jedenfalls hoffnungslos volkstümlich vorgetragene Zusammenhang zwischen menschlicher Begabung und Höhe der Steuerlast kommt einem doch arg übertrieben vor und ist es wohl auch – wenngleich hier unterschwellig mit der notwendigen Bekämpfung von Steuerbetrug in Deutschland ein ernsthaftes Problem angesprochen sein könnte, das an dieser Stelle jedoch nicht aufgelöst werden kann; abgesehen davon, dass es hier im Übrigen auch nicht hingehört. Anderenfalls würde man erkennbar nur den haltlosen Verdacht nähren, der Lüner Stadtkämmerer habe sich im Unterschied zu den redlichen Steuerzahlern erfolgreich ein Schlupfloch zur Bewältigung von Haushaltsproblemen gesucht.
Zugegebenermaßen mag eine Anwendung der hier dargestellten steuerlichen Gestaltungsinstrumente in der Haushaltsnot wahrscheinlicher sein als in fiskalisch eher sorgenfreien Zeiten – Not, auch die des Haushalts, macht eben sprichwörtlich erfinderisch. Gleichwohl erscheint die Haushaltslage weder als regelmäßige noch notwendige Bedingung für den Gebrauch solcher Verfahren. Und eine Vermengung „kleiner steuerlicher Querverbünde“ mit der in Lünen jüngst ausgesprochenen Haushaltssperre wäre zudem sowohl im Hinblick auf den sachlichen Zusammenhang als auch auf die zeitliche Abfolge nicht gerechtfertigt.
Städtische Steueroptimierungen sind insoweit weder ein moralisches Armutszeugnis noch per se – im wahrsten Sinn des Wortes – ein Zeugnis von Armut, sollten sie doch vielmehr zum obligatorischen Rechtsinstrumentenkoffer eines jeden Finanzverantwortlichen vor Ort gehören, und zwar im Anlass unabhängig davon, ob der eigene Haushalt gesperrt oder zur Bewirtschaftung freigegeben ist.
Einigkeit besteht jedoch offensichtlich in der besorgniserregenden Einsicht, dass die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen in NRW und die damit einhergehende Vertrauenskrise des demokratischen Gemeinwesens die übergeordneten Themen sind, die vor Ort einen Umgang durch den Stadtkämmerer erfordern und eine selbstverständlich freie und unabhängige lokale Berichterstattung erwarten lassen. Im Hinblick auf Letzteres bleibt die heimliche Hoffnung des Autors, dass auch und gerade bei steuerlich komplexen Sachverhalten künftig wieder der Information Vorrang vor dem Schlagzeileneifer eingeräumt wird.
Autor
Dr. André Jethon ist Beigeordneter und Stadtkämmerer der Stadt Lünen.
Info
Dieser Gastbeitrag ist zuerst in der DNK-Printausgabe 4/2024 erschienen.
