Der 16. Januar ist ein ungemütlicher Tag in Karlsruhe. Wind und Nieselregen aber schrecken die zahlreichen Bürger nicht ab, die sich in einer langen Schlange vor dem Besuchereingang zum Sitzungsgebäude des Bundesverfassungsgerichts aufreihen, während sich Kamerateams schon im Sitzungssaal in Stellung bringen. Riesig ist das Interesse an der mündlichen Verhandlung, nach der der erste Senat die Weichen für das weitere Schicksal der Grundsteuer stellen wird: Die Bürger fürchten sich vor einem dramatischen Anstieg der Grundsteuer, die Finanzverwaltungen vor einem immensen Aufwand, sollten alle 35 Millionen Grundstücke in Deutschland neu bewertet werden müssen, und die Kommunen schließlich sorgen sich um eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen. Im Jahr 2016 hat die Grundsteuer mehr als 13 Milliarden Euro in die kommunalen Kassen gespült, in vielen Gemeinden besonders im Norden und Osten Deutschlands machen die Grundsteuereinnahmen nach Berechnungen des Bundes mehr als 30 Prozent aller Steuereinnahmen aus.
Nach mehr als 20 Jahren vergeblicher Reformversuche ist im Januar 2018 eingetreten, wovor viele gewarnt hatten: Die Grundsteuer – genauer die Einheitsbewertung, die der Erhebung zugrunde liegt – ist nun Sache des Bundesverfassungsgerichts. In Karlsruhe haben sich mittlerweile drei Vorlagen des Bundesfinanzhofs und zwei Verfassungsbeschwerden von Bürgern angesammelt, die die Praxis der Grundsteuer angreifen, die sich bislang an Einheitswerten orientiert.
In den westdeutschen Bundesländern beruhen diese Einheitswerte noch heute auf den Verhältnissen des Jahres 1964, dem Zeitpunkt der sogenannten und entscheidenden Hauptfeststellung für den Wert eines Grundstücks. Das heißt: Dass Grundstücke, ganze Viertel und Gemeinden im vergangenen halben Jahrhundert aufgewertet oder aber etwa als Folge des demographischen Wandels unattraktiv geworden sind, spielt für die Höhe der Steuerbescheide keine Rolle. Noch krasser ist die Situation in den ostdeutschen Bundesländern: Hier rechnen die Ämter gar noch mit Werten aus dem Jahr 1935.
Vom Schandfleck zum Filetstück
Das Paradebeispiel liefert Berlin, es wird auch in der mündlichen Verhandlung immer wieder zitiert: Nicht nur, dass hier zahlreiche Straßen heute die frühere Mauer überwinden und so Gebäude mit Wertansätzen von 1964 neben solchen mit den im Osten noch genutzten Werten von 1935 liegen. Hinzu kommt auch, dass viele Bereiche in der Innenstadt massiv aufgewertet wurden: Wo früher niemand mit Blick auf die Mauer wohnen wollte, finden sich heute die hippsten Bezirke der Stadt. Eigentlich, so der ursprüngliche Plan des westdeutschen Gesetzgebers im Jahr 1964, sollte es alle sechs Jahre eine neue Hauptfeststellung geben. Doch daraus wurde nichts: 1970 erließ der Bundesgesetzgeber eine neue Regelung, dass der nächste Zeitpunkt durch ein „besonderes Gesetz“ bestimmt werden solle. Dieses Gesetz gibt es bis heute nicht.
Schnell ist an diesem Tag in Karlsruhe klar: Auch die Richter haben praktisch keinen Zweifel daran, dass die verzerrten Werte zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung führen. Anfangs formuliert der Senatsvorsitzende Ferdinand Kirchhof es noch diplomatisch: „Es lässt sich nicht bestreiten, dass 1964 ein ganz anderes Narrativ galt.“ Im Laufe der Verhandlung verhehlt der Senat allerdings immer weniger, dass ihm jegliches Verständnis für die lange Untätigkeit des Gesetzgebers fehlt. Die Richter halten deshalb mit spitzen Fragen und Kommentaren nicht hinterm Berg. Diese richten sich vor allem an die Adresse von Michael Meister (CDU), der als parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Finanzen die schwierige Aufgabe hat, die Sichtweise der Bundesregierung darzustellen – und gleichzeitig auch indirekt die vorherigen 13 Regierungen verteidigen muss, die sich in den vergangenen 48 Jahren nicht um eine neue Feststellung der Werte bemüht haben. Es sei eine Dauerentscheidung der Parlamente gewesen, den vorgesehenen Sechsjahreszyklus aufzugeben, sagt Meister. Dieser Zyklus sei von Anfang an zu ambitioniert gewesen. Richter Andreas Paulus quittiert die Verteidigung sarkastisch: „Ich bin beeindruckt von den Rettungsversuchen der Bundesregierung.“ Beobachter werden später sagen, sie hätten den Senat mitunter als arrogant empfunden.
Die entscheidende Frage, die die Verhandlung über weite Strecken dominiert, ist daher nicht, ob, sondern wie schnell eine neue Grundlage her muss. Denn dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Frist setzen wird, ist klar. Ebenso wenig befürchten Beobachter ernsthaft, dass die Richter die Grundsteuer rückwirkend für nichtig erklären könnten, auch wenn der Bundesfinanzhof etwa in seinen Anträgen die Grundsteuer schon ab dem Bewertungsstichtag 1. Januar 2008 für verfassungswidrig hält. „Die Tendenz war erkennbar, dass das Gericht nicht über eine rückwirkende Verfassungswidrigkeit nachdenkt, sondern eher bereit ist, eine Fortgeltungsanordnung zu erlassen“, sagt Verena Göppert, ständige Stellvertreterin des Hauptgeschäftsführers beim Deutschen Städtetag, nach der Verhandlung.
Für Kommunen würde das bedeuten, dass sie zunächst weiter Grundsteuerbescheide verschicken dürfen – aber nur bis zum Ablauf der Frist. Genau auf diesen Punkt konzentrieren sich die Sorgen der Verhandlungsteilnehmer in Karlsruhe: Was, wenn der Gesetzgeber es nicht schafft, im von den Bundesverfassungsrichtern gesteckten Zeitrahmen ein neues System zu schaffen? Dann könnten die Kommunen keine Grundsteuer mehr erheben. Ganz abwegig ist dieses Szenario nicht, wie sich in der weiteren Debatte vor dem Bundesverfassungsgericht noch zeigen wird. Schließlich muss der Gesetzgeber nicht nur eine neue Grundlage formulieren, sondern auch die Finanzbehörden – bleibt man in der bisherigen Systematik – stehen vor der Aufgabe, neue Werte für alle 35 Millionen Grundstücke in Deutschland zu berechnen. „Bund und Länder müssen dringend aktiv werden und auch die Frage beantworten, wie mögliche Grundsteuerausfälle kompensiert werden“, fordert Göppert deshalb.
Staatssekretär Meister kalkuliert mit fünf bis sieben Jahren für eine Neubewertung. Für das gesamte Verfahren zur Erhebung auf neuer Grundlage könnten es zehn Jahre sein. Auch andere Teilnehmer der Verhandlung gehen von ähnlichen Zeitspannen aus. Aus der Luft gegriffen sind diese Prognosen nicht: Schon von 1964 an hat es satte zehn Jahre gedauert, bis die ermittelten Einheitswerte angewendet wurden – das geschah nämlich erstmals zum 1. Januar 1974.
Technisch im Hintertreffen
Ein weiteres Hindernis: Die Finanzverwaltungen kommen technisch schlicht nicht schnell genug voran. Für ein neu es Bewertungssystem, in das aktuelle Werte automatisiert eingespeist werden können, braucht es eine bundesweite Behördeninfrastruktur: ein bundesweites Automatisierungsprogramm und eine IT-gestützte Grundstücksdatenbank – ganz zu schweigen von neuem Fachpersonal, das das System verwalten müsste. Woher sollen die Fachkräfte an der Schnittstelle von IT und Steuerrecht kommen? Die Antwort darauf gibt es in der Verhandlung nicht.
Auch Uwe Zimmermann, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte-und Gemeindebunds, befürchtet „eine riesige Herausforderung bei der Personalkapazität“. Trotzdem sieht er nicht ein, dass die Kommunen am Ende als Leidtragende ausbaden müssen, was Bund und Länder über viele Jahre verbockt haben. „Seit 1964 ist nichts passiert. Da erwarten wir, dass die Länder eine mögliche Neubewertung engagiert angehen.“
Die langen Debatten um Fristen und Übergangszeiträume offenbaren auch das Spannungsfeld zwischen Praktikabilität und juristischer Dogmatik. „Bedenken Sie bitte, was Sie uns damit zumuten, wenn wir die Verfassungswidrigkeit feststellen und dann diesen Zustand für weitere zehn Jahre hinnehmen sollen!“, ruft Richter Kirchhof, konfrontiert mit zahlreichen Prognosen von fünf bis zehn Jahren für einen geordneten Übergang, in den Saal.
Der Modellstreit
Welche Modelle könnten nun das bisherige System ablösen? In der Verhandlung verweisen Vertreter von Bund und Ländern immer wieder auf das sogenannte „Ländermodell“. Die Bundesländer – mit Ausnahme von Hamburg und Bayern – haben diesen Reformvorschlag im November 2016 im Bundesrat abgesegnet, auch die kommunalen Spitzenverbände sprechen sich bis heute dafür aus. Allerdings hat der Vorschlag nie den Bundestag passiert.
Der Inhalt: Individuell ermittelte Werte lösen die Einheitswerte ab, die neuen Werte sollen auf Bodenricht- und Grundstückswerten basieren. Bei der Bewertung der Grundstücke sollen sowohl die Fläche als auch pauschalierte Herstellungskosten für die Gebäude einfließen. Und das alles unter einer Prämisse: der Aufkommensneutralität. Von den Ländern individuell festgelegte Steuermesszahlen und Korrekturen bei den kommunalen Hebesätzen sollen dafür sorgen, dass die Gesamtbelastung deutschlandweit nicht steigt. Trotzdem würde die Steuer zwangsläufig anders verteilt werden – eine Tatsache, die nicht nur Eigentümern und Mietern die Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Auch für viele Kommunen könnten die Folgen schwerwiegend sein: Sollten sie sich gezwungen sehen, ihre Hebesätze deutlich senken zu müssen, drohen Einbußen beim Finanzausgleich.
Ein anderer Ansatz ist eine reine Bodensteuer. Auch hier schafft eine Bewertung die Basis für die Grundsteuer, allerdings spielt das Gebäude bei der Bemessung überhaupt keine Rolle. Das Modell, das auch der Deutsche Mieterbund und der Naturschutzbund Deutschland unterstützen, wird seit geraumer Zeit vom Bündnis „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ propagiert. Einer der prominentesten Fürsprecher ist der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen). „Bei einer Bodenwertsteuer könnte man innerhalb von kürzester Zeit neue Werte bestimmen. Legt man dagegen den Gebäudewert zugrunde, wären Zehntausende Beamte über Jahrzehnte damit beschäftigt, 35 Millionen Gebäude neu zu bewerten“, sagt Palmer. Dass dieses Modell schnell wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen könnte, glaubt Palmer nicht. „Warum sollte es nicht zulässig sein, nur das Grundstück zu besteuern? Es ist ja offensichtlich auch zulässig, nur das Gebäude und keine teuren Einbauten zu besteuern.“
Wert(un)abhängig?
Eines haben sowohl das Ländermodell als auch die Bodensteuer gemeinsam: Sie bauen auf Werten auf und sind damit schon per se angreifbar. Was soll den Ausschlag geben? Bei Gebäuden Mieteinnahmen, die extrem von wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen abhängig sind? Transaktionskosten, für die dasselbe gilt? Oder aber die vergangenheitsbezogenen Substanzwerte, errechnet auf der Grundlage von Herstellungskosten? Im aktuellen System stehen Sach- und Substanzwertverfahren nebeneinander – übrigens einer der Angriffspunkte der Verfassungsbeschwerden, die in Karlsruhe auf dem Tisch liegen.
Vermeintlich einfacher, wenn dadurch auch nicht automatisch weniger angreifbar, ist die dritte große Strömung: ein reiner Flächenansatz von Grundstück und Gebäude. „Jedes komplexe wertorientierte Modell würde aufgrund der sehr aufwendigen Umsetzung das Ende der Grundsteuer bedeuten“, sagt Hamburgs Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) im Gespräch mit dieser Redaktion. In Karlsruhe war er der Einzige, der sich als Verfechter eines wertunabhängigen Ansatzes zu Wort gemeldet hat.
Einer der Gründe für Tschentschers klare Haltung: Hamburg hat das Ländermodell mit einer 850 Einheiten umfassenden Stichprobe getestet, gedauert hat das Projekt ein Jahr. „Und da bleiben dann noch über 350.000 Einheiten übrig“, sagt der Senator. Aber nicht nur der Aufwand hat ihm zu denken gegeben, sondern auch das Ergebnis: In exponierten Lagen würde sich die Grundsteuer mit dem Ländermodell vervierzigfachen, eine vernünftige Ausdifferenzierung über Messzahlen und Hebesätze wäre in Metropolen wie Hamburg nicht möglich: „Wir würden bestimmte Stadtteile ins Unglück stürzen und weniger zahlungskräftige Bewohner weit an den Rand der Metropolregion drängen“, ist sich Tschentscher sicher. Ein reiner Flächenansatz hingegen würde zu deutlich weniger Verschiebungen führen, schließlich hätte sich an den Wohnungsgrößen nicht so viel geändert.
Niedersachsen schert aus
Ob Tschentscher in Karlsruhe die Richterbank vom Flächenansatz überzeugen konnte, ist unklar. So deutlich die Richter zur Verfassungswidrigkeit der bisherigen Bewertung Position bezogen haben, so bedeckt haben sie sich in Bezug auf die denkbaren Reformmodelle gehalten. Der Finanzsenator setzt nun darauf, dass sich das im Urteil ändert: „Ich hoffe, dass das Gericht den Handlungsrahmen so steckt, dass auch ein nicht wertorientiertes Modell umsetzbar ist.“
Zumindest wäre Deutschland mit einem wertunabhängigen Ansatz in Europa nicht allein. „Der Flächenansatz ist sicherlich der modernste Ansatz“, meint der Steuerrechtler Johann Wagner von der Kanzlei Gleiss Lutz. „Staaten wie Tschechien, Ungarn und die Slowakei haben nach dem Fall des Eisernen Vorhangs derartige Grundsteuerkonzepte eingeführt. Das Bestechende an diesem Ansatz ist seine Einfachheit, denn es entfallen sämtliche Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der ansonsten erforderlichen Bewertung.“ Die Grundfrage, ob man Besteuerung an einen Wert anknüpft oder nicht, hat laut Wagner im Übrigen noch eine weitere verfassungsrechtliche Dimension: „Steuertheoretisch stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung: Eine wertabhängige Besteuerung zielt – wie zum Beispiel schon die Einkommensteuer – auf die Leistungsfähigkeit des Steuerzahlers. Die wertunabhängige Besteuerung orientiert sich dagegen stark am Äquivalenzprinzip, also daran, dass der Nutzer von staatlichen Leistungen profitiert, wie zum Beispiel der Bereitstellung von Infrastruktur.“
Ein wertunabhängiges Modell findet nach und nach mehr Anhänger. Nicht nur der Bund der Steuerzahler unterstützt den Hamburger Vorschlag und hat sich in früheren Stellungnahmen bereits selbst für einen ähnlichen Ansatz stark gemacht. Ausgerechnet das Land Niedersachen, gemeinsam mit Hessen bei den Arbeiten am Ländermodell im Jahr 2016 federführend, rückt nun offenbar vom Länderentwurf ab. Der neue niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) lässt wenige Tage nach der Verhandlung in Karlsruhe mitteilen, er finde den von der Vorgängerregierung miterarbeiteten Vorschlag „sehr verwaltungsaufwendig.“ Hilbers hält es deshalb für „erforderlich, alle verfassungsrechtlich zulässigen Möglichkeiten, einen einfacheren Weg zu gehen, intensiv auf ihre Umsetzbarkeit hin zu prüfen. Dies insbesondere, wenn der Zeitraum, der vom Bundesverfassungsgericht für die Neubewertung gewährt wird, kurz sein sollte.“ Auch in den Ländern Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein mehren sich dem Vernehmen nach in den vergangenen Wochen die Zweifel an dem ehemals als „Konsensmodell“ bezeichneten Vorhaben
Viel Zeit bleibt nicht
Egal ob das Bundesverfassungsgericht am Ende eine Frist von zwei, fünf oder – höchst unwahrscheinlich – sogar zehn Jahren einräumt: Nach Jahrzehnten der Untätigkeit bleibt nicht viel Zeit. Weder für die Arbeit an einem neuen Gesetz noch für dessen Umsetzung. Zumindest, wenn es um die inhaltliche Textarbeit geht, ist das ein entscheidender Vorteil des Ländermodells. Das glaubt auch Verena Göppert vom Deutschen Städtetag: „Das Modell ist schon weit entwickelt. Wenn es erst einmal umgesetzt wäre, hätten wir in der Zukunft eine automatisierte Anpassungsmöglichkeit. Eine Situation wie die heutige könnte dann nicht mehr entstehen.“
Bislang scheint das Ländermodell noch eine Mehrheit im Bundesrat hinter sich zu haben, auch wenn beim Gesetzestext nach der Entscheidung aus Karlsruhe möglicherweise noch nachjustiert werden müsste. Doch auch wenn es die Wertermittlung einfacher machen sollte als das bisherige System, lässt sich nicht bestreiten, dass das Ländermodell zu den komplexesten Ansätzen gehört: Zeit, die nicht in die Arbeit am Gesetz investiert werden müsste, könnte in der Umsetzung jedoch vermehrt hinzukommen. Und sollte es dem Gesetzgeber nicht gelingen, innerhalb des von den Verfassungsrichtern gesteckten Zeitrahmens ein neues System praxisfertig zu machen, wäre das aus kommunaler Sicht der Supergau.
Wer ist zuständig?
Weiteres Konfliktpotential birgt die ungeklärte Zuständigkeitsfrage. Ob das Bewertungsgesetz und das Grundsteuerrecht in die Kompetenz des Bundes oder aber der Länder fallen, darüber streiten nicht nur Juristen. Der Bund steht offenbar auf dem Standpunkt, dass er die Gesetzgebungskompetenz für diese Bereiche habe, das legen Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags aus dem vergangenen Jahr nahe. Der Ländervorschlag in seiner Fassung aus dem Jahr 2016 wollte diese Frage allerdings zur Sicherheit klären und dem Bund über eine Änderung des Grundgesetzes die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer zuschreiben.
Da der damalige Entwurf nach wie vor in den Schubladen liegt, ist die Flanke aber weiter offen: Besonders Vertreter aus dem Freistaat Bayern sind davon überzeugt, dass die Grundsteuer Ländersache sein müsse. Das Problem: In diesem Zusammenhang geht es nicht bloß um juristische Spitzfindigkeiten. Streitigkeiten über diesen Punkt könnten vielmehr wertvolle Zeit kosten, sobald das Bundesverfassungsgericht eine Frist gesetzt hat: Sollte der Bund ein neues Gesetz vorlegen, das es trotz der zu erwartenden Widerstände durch den Bundesrat schafft, könnte zum Beispiel die bayerische Landesregierung oder auch ein anderes Bundesland die Zuständigkeitsfrage vor das Bundesverfassungsgericht bringen.
Die Bundesebene lässt sich von alledem derzeit allerdings nicht beirren. Mitten in der Debatte um das Schicksal der Grundsteuer B haben CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag einen Nebenkriegsschauplatz eröffnet: Eine Grundsteuer C für unbebautes Land soll her. Neu ist diese Idee beileibe nicht, es gab bereits Anfang der sechziger Jahre eine solche Steuer, damals „Baulandsteuer“ genannt. Nach zwei Jahren wurde sie wieder abgeschafft. Die Bundesregierung hatte festgestellt, dass weder das Grundstücksangebot deutlich gestiegen noch die Preise zurückgegangen waren.
Da verwundert es wenig, dass sich auch der für viele überraschende Vorstoß im Koalitionsvertrag massive Kritik gefallen lassen muss. Das Bündnis „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ etwa nennt die Grundsteuer C eine „bloße Scheinlösung, die mehr Schaden bringt als Nutzen“, und verweist darauf, dass sie bei einer reinen Bodensteuer ohnehin überflüssig wäre.
Hinzu kommt: Wie sich eine Grundsteuer C systematisch mit den übrigen Modellen zur Grundsteuer B verbinden ließe, ist offen. Zumindest dürfte sie wenig Einfluss auf die aktuelle Debatte haben. Uwe Zimmermann vom Städte- und Gemeindebund: „Die Grundsteuer C ist nur einer der Schraubenzieher im Werkzeugkasten des Gesetzgebers beim Städtebau, ändert aber nichts an der generellen Diskussion um die Grundsteuer B.“
Einen Punkt machen
Ob die wohlgemeinte Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag es in der aktuellen Legislaturperiode überhaupt auf die Tagesordnung schaffen wird, ist angesichts des Zeitdrucks bei der Grundsteuer B mehr als fraglich. Denn lange, so glauben viele, wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr auf sich warten lassen.
Die Amtszeit von Verfassungsrichter Michael Eichberger, der Berichterstatter im Grundsteuerverfahren ist, endet Ende April. Auch der Senatsvorsitzende Ferdinand Kirchhof wird den Senat Ende Juni verlassen, wenn er die Altersgrenze für Bundesverfassungsrichter erreicht hat. Die beiden Verfassungsrechtler werden wohl kaum ihre Schreibtische räumen, ohne einen Punkt unter eines der am meisten beachteten Verfahren der vergangenen Jahre gesetzt zu haben.
Info
Dieser Artikel ist erstmals in der Print-Ausgabe der Zeitung „Der Neue Kämmerer“ vom 16. März 2018 erschienen. Alle aktuellen Entwicklungen rund um die geplante Reform der Grundsteuer finden Sie online auf unserer Themenseite Grundsteuer.
