Frau Prof. Dr. Hölscher, in Ihrer Begrüßungsrede beim 18. Deutschen Kämmerertag, am 29. September 22 in Berlin, haben Sie bereits die Lage der deutschen Kommunen skizziert – zwischen Coronakrise, Energiekrise, Flüchtlingskrise, beginnender Rezession und eingeleiteter Zinswende. Wo liegen aktuell die größten Herausforderungen?
Die derzeit größten Herausforderungen für die Kommunalfinanzen sind die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges – vor allem die enormen Preissteigerungen im Energiebereich und der hohe Zustrom von geflüchteten Menschen. Die daraus entstehenden Mehrausgaben stellen eine erhebliche Belastung für die kommunalen Haushalte dar.
Der Bund hat umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um diese negativen Folgen abzumildern. Er stellt, wie der jüngste Beschluss zwischen dem Bundeskanzler und den Regierungschefinnen und -chefs der Länder vom 4. November zeigt, Ländern und Kommunen weiterhin umfangreiche Mittel für den Flüchtlingsbereich zur Verfügung. Vor allem hat der Bund neben den Entlastungspaketen I, II und III von insgesamt 95 Milliarden Euro den wirtschaftlichen Abwehrschirm von bis zu 200 Milliarden Euro zur Abfederung von Preissteigerungen bei Gas und Strom auf den Weg gebracht. All die damit verbundenen Maßnahmen kommen den Kommunen und ihren Unternehmen sowohl direkt als auch indirekt zugute. Sie tragen dazu bei, Kommunen vor Einnahmeausfällen und drastischen Mehrausgaben zu bewahren und ihre Handlungsfähigkeit in den Krisenzeiten sicherzustellen. Die finanziellen Belastungen dieser Maßnahmen trägt – wie bereits zu Zeiten der Coronapandemie – zum allergrößten Teil der Bund selbst.
Beim Kämmerertag sagten Sie, der Bund setze sich ausdrücklich für stabile Kommunalfinanzen ein – für eine verbesserte Einnahmestruktur und für eine krisenresilientere Aufstellung. „Hierüber sollten Bund, Länder und Kommunen gemeinsam nachdenken.“ Gibt es bereits erste Erfolge in den Bemühungen, die Einnahmestruktur von Kommunen zu verbessern und krisenresilienter aufzustellen?
Zunächst einmal haben die bisherigen Maßnahmen des Bundes zur Krisenbewältigung dazu beigetragen, dass die kommunalen Haushalte in den vergangenen Jahren und auch noch aktuell im Überschuss abschließen konnten bzw. nicht ins Defizit gerutscht sind. Aber auch die Länder, die für die Stabilisierung der Kommunalfinanzen auch in Krisenzeiten Verantwortung tragen, haben in den zurückliegenden Jahren im Rahmen ihrer kommunalen Finanzausgleichssysteme vielfach entsprechend reagiert. Darüber hinaus ist es jedoch geboten, die Krisenfestigkeit der kommunalen Finanzen strukturell zu stärken und verlässliche Einnahmen für die Kommunen sicherzustellen. Die Sicherung der Grundsteuer durch die Reform in der vergangenen Legislaturperiode war hierfür ein wichtiger Schritt.
Die hohe Konjunkturreagibilität der Steuereinnahmen erschwert jedoch weiterhin die mittel- bis langfristige Planung – insbesondere mit Blick auf die Investitionstätigkeit der Kommunen. Der Bund ist bereit, hierzu im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Möglichkeiten gemeinsam mit den Ländern und Kommunen entsprechende Wege auszuloten.
Vereinfachung kommunaler Förderprogramme
Inwiefern könnte eine Reform der Förderpolitik eine Rolle spielen?
Die Regierungsparteien haben sich im Koalitionsvertrag das Ziel der Vereinfachung und Optimierung kommunaler Förderprogramme gesetzt. Wir wollen kommunale Förderprogramme entbürokratisieren, wo möglich, sinnvoll bündeln und mit praxistauglichen Fristen versehen. Eine Straffung der Förderprogramme erschiene mir zwar angebracht, aber die große „Reform der Förderpolitik aus einem Guss“ könnte es aufgrund der Vielzahl von Beteiligten und Interessenlagen wohl nur im Rahmen einer größer angelegten Föderalismusreform geben, die aktuell nicht auf der politischen Agenda steht. Stattdessen setzen wir an verschiedenen Stellen an.
Wo setzen Sie Ihre Schwerpunkte?
Wir befassen uns zum Beispiel im Rahmen der Umsetzung des „Bund-Länder-Programms für eine leistungsstarke Verwaltung“ mit der Identifizierung von verfahrensspezifischen Hindernissen bei Finanzhilfen des Bundes an die Länder und der ressortübergreifenden Vereinheitlichung der Zuwendungsprogramme des Bundes.
Neben den perspektivischen Verbesserungen unterstützen wir die Kommunen auch bereits unmittelbar vor Ort über die „Partnerschaften Deutschland (PD)“. Die Betriebsstätten der PD bieten mit dem fachlich vielseitig aufgestellten Personal regionale Kompetenzpools an, die den jeweiligen Ländern und Kommunen unmittelbar im Rahmen der Kapazitäten und bei Inhouse-Beauftragungen auch sehr kurzfristig zur Verfügung gestellt werden können.
Auch die Verfahren von Förderprogrammen werden übrigens vor allem bei Finanzhilfen, über die der weitaus größte Anteil der Investitionsfördermittel des Bundes fließt, vor allem durch die Länder festgelegt. Hier sind in erster Linie die Länder gefragt, mit denen wir uns im Dialog befinden – zum Beispiel im Rahmen eines möglichen Bund-Länder-Pakts zur Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung.
Info
Das hier veröffentlichte Interview ist bereits in einer gekürzten Fassung in der aktuellen Zeitungsausgabe von Der Neue Kämmerer 04/2022 erschienen.Hier geht es zum Abo und hier zur Newsletter-Anmeldung.