Die Kommunen sind fiskalisch gut durch die Coronapandemie gekommen. Angesichts des schwierigen Risikoumfelds treffen jetzt aber steigende Finanzierungsbedarfe auf abnehmende Finanzierungsspielräume. Nach der Krisenbewältigung geht es nun um ein Konzept zur Abfinanzierung und um die Rückkehr zur Schuldenbremse.

In Zeiten der Pandemie waren die Kommunen erstmals Teil eines staatlichen Rettungsschirms. Die fiskalische Last konzentriert sich damit fast ausschließlich auf den Bund. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und seine vielfältigen politischen und ökonomischen Folgen haben das Krisenumfeld allerdings deutlich kompliziert. Auf kommunaler Seite stehen dabei die Aufnahme, Versorgung und Integration von Flüchtlingen im Vordergrund. Auch hier hat der Bund eine finanzielle Last übernommen, indem er den Ländern und Kommunen für 2022 einen Betrag in Höhe von 2 Milliarden Euro zur Verfügung stellt. Zudem haben die Geflüchteten Anspruch auf Grundsicherungsleitungen nach SGB II und XII, die ebenfalls in hohem Maße vom Bund mitfinanziert werden.

Normalhaushalt und Krisenfinanzierung

Bisher erlaubten die wirtschaftliche Leistungskraft und damit die Bonität des Gesamtstaates Deutschland eine hohe Schuldenaufnahme. Angesichts kaum spürbarer Zinsen oder Negativzinsen war sie – bisher – auch weitgehend „geräuschlos“ zu finanzieren. Die erneute Verschuldung zur Finanzierung der Folgen der Coronapandemie, die im Jahr 2020 ein Aussetzen der Schuldenbremse notwendig machte, hat die Schuldenquote in den letzten beiden Jahren wieder merklich ansteigen lassen. Und nun kommen die neuen Schulden des Jahres 2022 hinzu – zuvorderst vom Bund getragen.

Die Strategie der fiskalischen Krisenisolierung ist richtig. Für „Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“ kann temporär die Ausnahmeregelung bzgl. der Schuldenbremse (Art. 109 Abs. 3) genutzt werden. Dass hier der Bund die Hauptlast trägt, ist ebenfalls sinnvoll, denn er kann viel besser als Länder und Kommunen die notwendigen Finanzmittel zur Krisenbewältigung organisieren. Sie erfordert aber nach einer ersten Phase ein Konzept zur Abfinanzierung und die Rückkehr zur Schuldenbremse und damit zu einer nachhaltigen generationengerechten Finanzwirtschaft. Die Aufgabe der zentralen Ebene besteht somit in einer gesamtgesellschaftlichen Stabilisierungs- und Sicherungsfunktion, die von den Ländern mit zu unterstützen ist.

Neue Krisen und alte Probleme

Allerdings hat sich die Taktzahl der Krisen erhöht. Derzeit zeichnet sich ein „explosives“ Krisenszenario aus einer Kombination von neuen Risiken und alten Problemen ab, das mit hohen Prognoseunsicherheiten verbunden ist. Zum einen werden die Wirkungsketten komplexer und es besteht die Gefahr von Summations- und Verstärkungseffekten, zum anderen wurde mit dem Krieg deutlich, dass die „üblichen“ Rationalitäten und Handlungsziele der Staaten keine sichere Grundlage mehr sind. Welche Krisenelemente aber mit welcher Intensität tatsächlich eintreffen, ist derzeit nicht abschätzbar oder mit den üblichen Methoden prognostizierbar. Unwissen und Unsicherheiten machen es der Politik deutlich schwerer:

  • Bisher konnte Deutschland mit seiner Wirtschaftskraft einzelne Krisenphänomene abfedern und Zeit kaufen. Wenn aber hohe Inflation und Rezession aufeinandertreffen (Stagflation), dann fehlt das Wachstum zur Krisenfinanzierung und die Ausgabentätigkeit verliert aufgrund der deutlichen Preiserhöhungen an Kaufkraft.
  • Ausbleibende bzw. zu geringe Energie- und Rohstofflieferungen treffen die Wirtschaft, aber auch private Haushalte auf vielfältige Weise. Im Kern würde das Lieferkettenproblem deutlich verstärkt und das Wirtschaftswachstum weiter ausgebremst.
  • Schrittweise steigende Zinsen geben der Staats- und Kommunalverschuldung wieder einen spürbaren Preis. Dies birgt für finanzschwache Kommunen und erst recht für die südeuropäischen Ländern mit ihren Kreditinstituten merkliche Refinanzierungsrisiken. Mit der Niedrigzinspolitik der letzten Jahre wurde zwar Zeit gekauft, die Ursachen der Immobilien-, Finanz- und Staatsschuldenkrise hat man strukturell aber nicht überall gelöst.
  • Diese Risiken treffen auf bekannte Handlungsbedarfe wie die Folgen des demographischen Wandels mit hohen Finanzbedarfen in der Renten- und Pflegeversicherung. Hier hat man notwendige Maßnahmen politisch viele Jahre bzw. Jahrzehnte vor sich hergeschoben. Dies gilt auch für den hohen Investitions- und Instandhaltungsbedarf bei der Infrastruktur und für die Verteidigung (Nichtrealisierung des 2 %-Ziels staatlicher Ausgaben gemessen am BIP). Erst recht gilt dies für die Klimapolitik, die Gas als Brückentechnologie einsetzen wollte, nun aber genau dieser Energieträger zum Engpassfaktor geworden ist.
  • Aber auch die weltweite Pandemie kann noch nicht als erfolgreich bekämpft angesehen werden. Auch hier gibt es erhebliche Eintrittsunsicherheiten. Sollte im Herbst eine Variante mit ausgeprägten gesundheitlichen Folgen das Geschehen bestimmen, könnte sich eine erneute Verstärkung des pandemischen Krisengeschehens mit komplexen sozialen und ökonomischen Folgewirkungen einstellen. Und Ausbrüche in anderen Ländern wirken auch auf Deutschland (zum Beispiel über Lieferketten).

Politisches Handeln bei hohen Unsicherheiten

Politik hat Erfahrungen und Instrumente, um ein oder zwei Krisen – erfolgreich – zu bearbeiten. Eine sich deutlich verstärkende Gesamtkrise, die sich aus der Kombination mehrerer Ursache-Wirkungsketten speist und zudem eine Änderung der internationalen Rahmenbedingungen beinhaltet, dürfte aber die staatliche Steuerungsfähigkeit deutlich überschreiten. Für diesen Krisenmix gibt es keine politischen Handlungsroutinen. Gerade der Umgang mit Unwissen und Unsicherheit, mit hohen Eintrittsunsicherheiten und mit Verstärkungseffekten ist nur begrenzt oder allein über „Geld“ steuerbar. Auch die Strategie einer Isolierung von Einzelproblemen und ein Nacheinander-Abarbeiten greifen zu kurz:

  • Die staatlichen Finanzierungsbedarfe nehmen deutlich zu, treffen aber in Abhängigkeit von rezessiven Tendenzen auf einen geringer werdenden Finanzierungspielraum.
  • Globale Krisenursachen sind lokal nur begrenzt steuerbar. Dennoch sind sie mit starken lokalen Wirkungen verbunden.
  • Der Zeitfaktor ist von hoher Relevanz. Es ist schnell zu handeln, teilweise präventiv, bevor das Problem eingetreten ist – und dies bei Unsicherheit über die Eintrittswahrscheinlichkeit. Dies gilt zum Beispiel für die Pandemie aber auch für die Energieversorgung. Abwarten lässt die Kosten beim Risikoeintritt deutlich in die Höhe schnellen.
  • Politik ist gut beraten, wenn sie sich zunächst auf die Krisenelemente mit hoher Systemrelevanz konzentriert (zum Beispiel Energieversorgung, Landesverteidigung, Pandemie). Hier ist Wissen vielfach erst aufzubauen. Nicht-Handeln wäre hier mit hohen Kosten verbunden.
  • Der Versuch, alle Friktionen und Belastungen in der Krise auszugleichen, muss scheitern. Zwar muss die Verteilung der Lasten sozial gerecht erfolgen, dennoch tragen wir alle die Kosten und werden alle höhere Kosten tragen müssen.
  • Und selbst gut begründete Entscheidungen, die sich im Nachhinein den-noch als suboptimal, unnötig oder falsch herausstellen, müssen in Kauf genommen und toleriert werden. Das erfordert einen neuen Politikmodus.

Es gibt aber auch positive Interdependenzen. Die Rückführung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern bei gleichzeitiger Stärkung regenerativer Energieträger kann mit einer doppelten Dividende aus Versorgungssicherheit und Klimaschutz verbunden sein. So wie die Corona-Pandemie der Digitalisierung Deutschlands einen deutlichen (aber nicht hinreichenden) Schub gegeben hat, so können auch weitere Krisen zu Innovationen, zum Beispiel im deutschen Föderalismus, führen.

Kommunalfinanzierung im neuen Umfeld

Die Finanzierung dieser und anderer Maßnahmen durch den Bund (zum Beispiel 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr in den nächsten 5 Jahren und Hilfen für die Ukraine) gelingt nicht aus dem laufenden Haushalt. Wie schon bei der Finanzierung der Corona-Folgen durch Bund und Länder werden auch jetzt wieder Sonderhaushalte zur Finanzierung der neuen Krise und ihrer Folgen genutzt. Der laufende Haushalt bleibt zunächst unbelastet, und erst mit Beginn der Abfinanzierung der für die Sonderhaushalte aufgenommenen Schulden werden die Lasten (Zinsen und Tilgung) wirksam.

Die Folgen dieser Entwicklungen werden an den Kommunen nicht spurlos vorübergehen. Angesichts ihrer bisher im Durchschnitt guten fiskalischen Situation werden zusätzliche finanzielle Forderungen an den Bund, zum  Beispiel bei der Soziallastenfinanzierung, schwerer durchsetzbar sein. Die aktuelle Steuerschätzung hat zwar mit einem gegenüber der Schätzung vom letzten November erhöhten Steueraufkommen „überrascht“, doch enthält diese nicht die jüngsten Entlastungsbeschlüsse und basiert noch auf den Wachstumsannahmen der Steuerschätzung vom letzten November.

Die neue Bundesregierung war in ihrem Koalitionsvertrag bereits im letzten Jahr von dem Grundsatz der alten Bundesregierung „Wer bestellt, bezahlt“ abgerückt und spricht in ihrem Koalitionsvertrag von „Ausgewogenheit der Finanzierung“ bei neuen Aufgaben und von einer „ausgewogene(n) Lastenverteilung zwischen den Ebenen der öffentlichen Haushalte“. Die fiskalischen Folgen des Ukraine-Krieges dürften die Fragen rund um Ausgewogenheit verschärfen. Gleichwohl bleibt eine „aufgabenangemessene Finanzausstattung“ die Grundvoraussetzung für die Aufgabenwahrnehmung und den Haushaltsausgleich im Rahmen einer nachhaltigen und generationengerechten Finanzwirtschaft. Angesichts des verengten Finanzrahmens besteht aber erhöhter Bedarf an einer Priorisierung in der Aufgabenwahrnehmung:

  • Es muss geprüft werden, was an kommunalen Aufgaben notwendig ist, was verzichtbar ist und was an neuen Aufgaben zeitlich geschoben werden sollte.
  • Es muss ferner geprüft werden, auf welchem Qualitätsniveau die Aufgaben erfüllt werden sollen.
  • Auch wären Maßnahmen zur gezielten Ursachenbekämpfung und zum Abbau interkommunaler Disparitäten (zum Beispiel Lösung des Altschuldenproblems) Vorrang vor Maßnahmen nach dem Gießkannenprinzip einzuräumen.
  • Die Konzentration von knapper werdenden Finanzmitteln auf Problemlagen ist notwendig, erfordert aber auch ein höheres Maß an föderalem Gemeinsinn. Für Package-Deals und Tauschgeschäfte wird das Geld knapper.

In dieser Hinsicht weist der Koalitionsvertrag zahlreiche Maßnahmen auf, die insbesondere den finanzschwachen bzw. strukturschwachen Kommunen helfen können. Zum Beispiel will die Koalition „mehr als 4 000 allgemein- und berufsbildende Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler besonders stärken“ u.v.m. Die Lernförderung an Schulen „mit einem hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern, die einen Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket haben“, soll durch dauerhafte und unbürokratische Angebote gestärkt werden. Zudem ergreifen die Koalitionäre eine neue Initiative zur Lösung des kommunalen Altschuldenproblems, was angesichts steigender Zinsen an Dringlichkeit gewonnen hat.

Auch hat sich die neue Bundesregierung die Entfrachtung der Regelsysteme des Sozialrechts vorgenommen und verspricht auch für die Investitionsförderung eine Vereinfachung. Im Grunde geht es um „mehr Wirkung durch weniger Aufwand“. In dieser Hinsicht können die Kommunen einen wichtigen Beitrag leisten, denn als ausführende Akteure kennen sie die bürokratischen Hürden sehr genau.

Allerdings müssen die Kommunen auch selbst initiativ werden und ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten neu ausloten. Fehlendes Personal, um passende Förderprogramme aufzuspüren und komplizierte Förderanträge auszufüllen, ist eine faktische Beschränkung. Aber manche Veränderungen beruhen auch auf unkonventionellen Ideen in den Kommunen. Der Begriff der „Selbstverwaltung“ intendiert trotz vielfacher Pflichtvorgaben auch die Mobilisierung lokalen Wissens und Initiativen für angepasste Vor-Ort-Strategien.

martin.junkernheinrich@ru.uni-kl.de

Autor

Professor Dr. Martin Junkernheinrich ist Inhaber des Lehrstuhls für Stadt-, Regional und Umweltökonomie an der Technischen Universität Kaiserslautern.

Info

Der hier veröffentlichte Gastbeitrag ist zuerst in der DNK-Zeitung 2/2022 erschienen.

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