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Deutschland braucht die Doppik

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Ziel der grundgesetzlichen Schuldenbremse ist es, die langfristige Schuldentragfähigkeit der Haushalte des Bundes und der Länder zu erhalten, damit ausreichende Ressourcen zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben zur Verfügung stehen, ohne künftige Generationen übermäßig zu belasten. Allerdings haben die aktuellen Regelungen in Art. 109 Absatz 3 und Art. 115 Grundgesetz lediglich die Begrenzung der Möglichkeiten zur Schuldenaufnahme im Blick. Mit ihnen wurden nicht die wesentlichen Ursachen des finanzpolitischen Steuerungsdefizits im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit – die im Wesentlichen in der rein zahlungsorientierten Kameralistik liegen – beseitigt.

Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2007 gefordert, wirksame Instrumente zum Schutz der gegenwärtigen und künftigen Leistungsfähigkeit des demokratischen Rechts- und Sozialstaats zu schaffen. Auch im Hinblick hierauf wurden im Jahre 2009 sowohl die Schuldenbremse im Grundgesetz als auch neue Steuerungsansätze des Haushalts- und Rechnungswesens (u.a. Doppik und Produkthaushalte) im Haushaltsgrundsätzegesetz verankert. Während in fast allen Kommunen die Haushaltssteuerung auf doppische Produkthaushalte umgestellt wurde und auch einige Länder die staatliche Doppik einführten, blieb der Bund bei seiner kameralen Haushaltsführung. Zutreffend beschrieb der Beauftragte des Senats von Berlin für die Verwaltungsmodernisierung vor über 20 Jahren: „Wir wissen viel zu wenig über Kosten, wir wissen zu wenig über Leistungen, wir wissen fast nichts über die Wirkung dieser Leistungen, aber alle sind sehr betrübt und sehr traurig, dass die öffentlichen Haushalte pleite sind.“ Das gilt für den Bund und die meisten Flächenländer immer noch.

Aktuell basiert die gesamte Haushaltsführung des Bundes und der meisten Flächenländer lediglich auf reinen Cash-Flow-Rechnungen (Einnahmen- und Ausgabenrechnung) über das jeweilige Haushaltsjahr. Es werden weder Abschreibungen (Vermögensverzehr) noch zukünftige Zahlungsverpflichtungen periodengerecht abgebildet, und es gibt auch keine hinreichende Transparenz über die Vermögenswerte. Diese Kameralistik hat nur zum Ziel, im jeweiligen Jahr nicht mehr aus-zugeben als eingenommen wird. Eine generationengerechte Haushaltsführung ist derzeit mit dem Bundeshaushalt nicht möglich. Vielmehr verhindert die rein zahlungsbezogene Schuldenbremse eine ökonomisch sinnvolle Haushaltssteuerung. Mit der Schuldenbremse erfolgt nichts anderes, als die dem Staat zur Verfügung stehende Liquidität zu begrenzen. Dabei könnte es wirtschaftlich sein, mit mehr Liquidität Investitionen und Aufwendungen zu tätigen. Es reicht nicht, nur die Liquidität zu betrachten. Gutes Regieren verlangt die Betrachtung von Vermögens-, Ertrags- und Liquiditätslage.

Kamerale Fiskalillusion

Seit Jahrzehnten wurde der Erhalt der bestehenden Infrastruktur zum Teil vernachlässigt. Daran können auch neue Investitionen nichts ändern. Neue Infrastrukturmaßnahmen tragen nicht zum Erhalt bestehender Infrastrukturen bei. Vielmehr lösen sie zusätzliche Unterhaltungs- und Folgekosten aus. Die kamerale Fiskalillusion versperrt den Blick auf haushalterische Notwendigkeiten, die Auswirkungen auf die Zukunft haben.

Der allenthalben beklagte Investitions- und Sanierungsstau der öffentlichen Infrastruktur ist vorwiegend das Ergebnis einer jahrzehntelangen Haushaltssteuerung, die nur die Zahlungsströme betrachtet und keine Folgekosten berücksichtigt. Kosten für zukünftige Generationen werden in der Kameralistik nicht betrachtet. Die Doppik dagegen beruht auf einer Periodenrechnung, in der Anschaffungen von Vermögenswerten über ihre Lebensdauer abgeschrieben werden.

Der Sanierungsstau entsteht dadurch, dass in der kameralen Betrachtung der Zahlungsströme übersehen wird, dass jede Investition auch erhalten werden muss. In der doppischen Haushaltsplanung und Rechnungslegung dagegen wird dies dadurch nachvollzogen, dass Abschreibungen über die Dauer der Nutzung des Wirtschaftsgutes als Aufwand abgebildet werden. In Form der Abschreibung werden die Investitionen zum Aufwand. Die nichtzahlungswirksamen Abschreibungen ermöglichen, die Auszahlungen für Erhaltungsmaßnahmen zu leisten.

Zukunftsorientiert steuern

Eine zukunftsorientierte Haushaltsführung sollte sich an den öffentlichen Zwecken orientieren. Entscheidend ist die politische Fähigkeit, die Budgets so zu strukturieren und zu steuern, dass die herausfordernden Zukunftsziele erreicht werden können. Das ist in der kameralen Haushaltsführung nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Denn dafür müssten die politischen Ziele und die staatlichen Ressourcen im Haushaltsplan miteinander verknüpft werden. Mit einem solchen Ansatz wäre es möglich, dass formulierte Zukunftsmissionen den Investitionen und Aufwendungen die notwendige Richtung geben können. Das Haushaltsgrundsätzegesetz sieht seit 2009 die Möglichkeit des Produkthaushalts, der nach Produkten strukturierte Mittelzuweisungen mit einer Spezialität nach Leistungszwecken verbindet, ausdrücklich vor. Es müsste nur Gebrauch davon gemacht werden, den Haushalt besser zu steuern.

Die Haushaltswirtschaft sollte an öffentlichen Leistungszwecken ausgerichtet wer-den, um Ergebnisse und Wirkungen mit Zukunftsorientierung zu erhalten. Seit 2009 besteht zudem die Möglichkeit, die Haushaltswirtschaft nach den Grundsätzen der staatlichen Doppik zu gestalten, um mit der Ressourcenverbrauchs- und der Vermögenssicht eine nachhaltige Finanzpolitik zu stützen und die intergenerative Gerechtigkeit zu fördern. Mit der Berücksichtigung von Zukunftslasten wie der Versorgung und aus Abschreibungen werden die fiskalischen Entscheidungsparameter um einen Nachhaltigkeitsfaktor erweitert.

Finanzielle Generationengerechtigkeit

Ausdruck finanzieller Generationengerechtigkeit ist der Ausgleich des Ergebnisplans in einer staatlichen „Gewinn- und Verlustperspektive“. Ist das Jahresergebnis negativ, liegt ein Substanzverzehr zulasten zukünftiger Generationen vor. Ist das Ergebnis positiv, sorgt die gegenwärtige Generation zugunsten zukünftiger Generationen für die Zukunft vor. Ein doppischer Haushaltsausgleich beinhaltet nicht notwendigerweise ein Verbot der Nettoneuverschuldung. Er stellt darauf ab, dass die in einer Periode verbrauchten Ressourcen mindestens ausgeglichen werden, wobei eine Kreditaufnahme bei gleich hoher Vermögensmehrung erlaubt ist.

In der Freien und Hansestadt Hamburg gilt auf Grund der Schuldenbremse, dass neben dem doppischen Ergebnisplan auch der doppische Gesamtfinanzplan mindestens auszugleichen ist. Die Anforderungen des Artikels 66 Hamburger Verfassung, wonach der Haushaltsplan in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen ist, wurden in die staatliche Doppik übersetzt. Die Aufnahme von Krediten wird gemäß § 28 LHO nur zur Finanzierung der Tilgung von Krediten, zur Finanzierung des negativen Saldos finanzieller Transaktionen, bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung und im Falle einer außerordentlichen Notsituation gestattet.

Kernpunkt einer Reform der Schuldenregelungen des Bundes und der Länder sollte der Übergang von einem rein zahlungsorientierten zu einem ressourcenorientierten Haushalts- und Rechnungswesen sein, in dem der Ressourcenverbrauch inklusive des nicht zahlungswirksamen Verbrauchs periodengerecht ermittelt und die Veränderung der Vermögenslage bilanziert werden. Für die Einführung der Doppik spricht, dass nur sie den Ressourcenverbrauch auch über Abschreibungen und Zuführungen zu Rückstellungen periodengerecht darstellt und sachgerechte Entscheidungen somit auch mit Blick auf die Belastungen künftiger Generationen ermöglicht. Insoweit liegt in der Doppik ein Mehrwert, ohne dass auf Informationen über die Einnahmen und Ausgaben verzichtet wird. Zudem liefern Ergebnis- und Vermögensrechnung zusätzliche Steuerungsinformationen.

Harmonisierung über alle Ebenen

Um die Zukunftsfähigkeit der öffentlichen Haushalte zu gewährleisten, ist eine flächendeckende Harmonisierung des Haushalts- und Rechnungswesens in Deutschland auf allen öffentlichen Ebenen nach doppischen Standards dringend geboten. Deutschland sollte den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union folgen und ein doppisches Rechnungswesen einführen.

Aktuell ist Deutschland nicht einmal in der Lage, die Referenzwerte der europäischen Fiskalregeln genau zu ermitteln. Da die Finanzstatistik des Bundes allein auf kameraler Rechnungslegung beruht, können die europäischen Kriterien nur mit Hilfe statistischer Methoden geschätzt werden. Eine Orientierung an internationalen Standards wie den International Public Sector Accounting Standards (IPSAS) oder den europäischen Rechnungsführungsstandards für den öffentlichen Sektor (European Public Sector Accounting Standards – EPSAS) findet nicht statt.

Die EPSAS zielen darauf ab, einen umfassenden Überblick über Gesamtvermögen, Gesamtschuldenstand inklusive Pensionsverpflichtungen sowie über den Werteverzehr der Infrastruktur und die Erneuerungsinvestitionen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu bieten. Der Deutsche Bundestag und das Bundesfinanzministerium sollten sich konstruktiv an der Entwicklung der EPSAS beteiligen, die auf eine verbesserte Transparenz und Vergleichbarkeit der Finanzbuchführung des öffentlichen Sektors sowie der Rechnungslegung zwischen den Mitgliedstaaten und innerhalb der Mitgliedstaaten abzielen.
Arne Schneider ist Haushaltsdirektor und Leiter des Amtes Haushalt und Aufgabenplanung in der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg.

Info

Arne Schneider ist Haushaltsdirektor und Leiter des Amtes Haushalt und Aufgabenplanung in der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg.
arne.schneider@fb.hamburg.de

Dieser Beitrag ist zuerst in der DNK-Printausgabe 3/2024 erschienen.