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Kämmerertag: „Die Realität vor Ort abbilden“

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„Wir müssen zurückkommen zu einer Situation, in der wir mit dem, was da ist, auskommen.“ Das sagte Jürgen Schneider, Ministerialrat im Bundesfinanzministerium, heute beim Deutschen Kämmerertag in Berlin. Bei dem Fachkongress vertrat Schneider in der Diskussion um Kommunalfinanzen die Perspektive des Bundes. Nach auch für den Bund ausgabenintensiven Jahren, die von der Coronakrise und den damit verbunden finanzpolitischen Ausnahmeregelungen bestimmt waren, gelte es nun, in den eigentlichen finanziellen Rahmen zurückzukehren und Ausgabendisziplin walten zu lassen. Diese grundsätzliche Position nahm er angesichts aktueller Finanzdebatten zwischen Bund, Ländern und Kommunen ein.

Kämmerertag: Bayaz regt Föderalismuskommission an

Rund 300 Finanzverantwortliche aus Kommunen tauschten sich beim Kämmerertag in der Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom über die Lage der Kommunalfinanzen aus. In der Diskussion wurden Rufe nach einer Neuausrichtung des Finanzsystems laut. Dabei stellte sich immer wieder die Frage nach Konnexität und nach einer Reform des Finanzverhältnisses zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Ebenso kam Kritik am sogenannten Wachstumschancengesetz auf, mit dem der Bund aktuell konjunkturpolitisch wirken will, durch das den Kommunen jedoch Gewerbesteuereinbußen drohen.

Angesichts der Bewältigung zahlreicher Krisen – von der Coronakrise bis zu den Auswirkungen des Ukrainekriegs und der Inflation – sprach der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz „von einer Zäsur in der Finanzpolitik“. Hinzu kämen ein lange aufgebauter Investitionsstau und die Bewältigung tiefgreifender Transformationsaufgaben auf dem Weg zur Klimaneutralität. Neue Ausgabenwünsche könnten also nicht erfüllt, Standards nicht immer weiter erhöht werden. Dabei regte Bayaz unter dem Titel seines Vortrags „Update für den Föderalismus“ die Einrichtung einer Föderalismuskommission an, die sich auch den Finanzbeziehungen widmet.

Auswirkungen auf die Menschen im Blick halten

Im Zusammenhang mit dem Vorschlag einer solchen Reform wies Uwe Zimmermann, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, insbesondere auf das Konnexitätsprinzip und die Aufgabentrennung zwischen Bund und Kommunen hin. Beide Themen gehörten „auf den Tisch“. Dabei müsse auch um eine Lösung für den in verschiedenen Studien auf dreistellige Milliardenbeträge bezifferten Investitionsstau gerungen werden. Zimmermann: „Wo soll dieses Geld herkommen?“

Die finanztheoretische Diskussion bereicherte die Kölner Kämmerin Dörte Diemert um eine praktische Perspektive. Eine kluge Finanzpolitik dürfe sich „nie ums schnöde Geld“ allein drehen, sondern müsse immer auch die Auswirkung von Entscheidungen auf die Menschen, die Städte und die Landkreise im Blick haben. Derzeit belasteten die Kommunen insbesondere Aufgaben, die nicht kommunalen Ursprung haben, aber vor Ort gelöst werden müssen. Exemplarisch nannte Diemert die Unterbringung von Flüchtlingen. Diese müsse auskömmlich finanziert sein: nicht durch immer neue abstrakte Verabredungen von Pauschalen zwischen Bund und Ländern, sondern durch ein „atmendes System“. Es gelte, finanzpolitisch „die Realität vor Ort abzubilden“.

Unterschiedliche Positionen zur Altschuldenfrage

Ein weiteres Beispiel für ein in Schieflage zu geraten drohendes Finanzverhältnis zwischen den staatlichen Ebenen sei das Wachstumschancengesetz. In dessen Folge sei eine neue Belastung der kommunalen Haushalte zu befürchten. Dies könne dazu führen, dass die kommunale Ebene die Konjunkturpolitik des Bundes bezahle, so Diemert. Denn im Zweifel müssten Kommunen die drohenden Gewerbesteuereinbrüche dadurch finanzieren, dass sie Leistungen kürzen, Standards reduzieren, kommunale Steuern erhöhen oder Schulden aufnehmen. Dies schaffe „vor Ort unglaublich viel Frust und Resignation in den Rathäusern und in Teilen bei der Bürgerschaft“.

Dabei brach Diemert beim Kämmerertag mit einem leidenschaftlichen Plädoyer eine Lanze für eine Altschuldenlösung mit Bundeshilfe. Insbesondere die Kommunen, die unter einer hohen Schuldenlast leiden und dadurch wichtige Handlungsspielräume einbüßen, hätten nicht zuletzt angesichts der großen Transformationsaufgaben, die vor ihnen liegen, „einen Neustart verdient“. Dabei stellt sich das Thema als umstritten dar: Etwa sieht Bayaz im Fall einer solchen Altschuldenlösung mit Bundesmitteln die Bundesländer – wie Baden-Württemberg –, für deren Kommunen die Altschuldenproblematik keine relevante Größe darstellt und die daher nicht an einer Bundeslösung profitieren, benachteiligt.

a.erb@derneuekaemmerer.de

Andreas Erb

Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Er arbeitet insbesondere an der Weiterentwicklung der Plattform #stadtvonmorgen und berichtet dabei vorwiegend über urbane Transformationsprozesse. Für die Redaktion von „Der Neue Kämmerer“ beleuchtet er diese Themen aus Perspektive der Kommunalfinanzen. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.