Das Landgericht München I hat einen Anlagevermittler zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt (Aktenzeichen 22 O 2477/22). Erstmals sei damit einer Kommune in Deutschland eine Schadensersatzzahlung im Zusammenhang mit der Greensill-Insolvenz zugesprochen worden, heißt es in einer Mitteilung der Kanzlei Roessner, die die Gemeinde vertritt. Vaterstetten in Oberbayern erhalte nun eine Schadensersatzzahlung in Höhe von 1 Million Euro.
Die Gemeinde mit rund 22.000 Einwohnern gehört zu den Kommunen in Deutschland, die von der Insolvenz der Greensill Bank im März 2021 betroffen sind. Vaterstetten hatte nach Empfehlungen eines Anlagevermittlers Festgelder bei der Bank angelegt, die aufgrund der Insolvenz nicht zurückgezahlt werden. Insgesamt hatte die Gemeinde 5,5 Millionen Euro bei der Bank angelegt.
Kommunen dürfen auf Finanzvermittler vertrauen
Das Urteil zeigt laut Mitteilung, dass die verantwortlichen Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung keine eigenständige Pflicht zur Beobachtung von Finanzmeldungen haben und auf eine pflichtgemäße Information durch den Finanzvermittler vertrauen durften. „Die Insolvenz der Greensill-Bank war insofern für die Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung nicht ansatzweise vorhersehbar“, sagt Leonhard Spitzauer, Bürgermeister der Gemeinde Vaterstetten.
Das Gericht ist bei seinem Urteil vom 19. August der Argumentation der Kanzlei gefolgt. Darin bestätigte das Landgericht demnach die Pflichtverletzung des Anlagevermittlers. Bei seiner Empfehlung im Dezember 2020 habe er es unterlassen, die Gemeinde auf die seit 2020 in den Fachmedien enthaltenen Informationen über Ermittlungen der BaFin bei der Greensill Bank hinzuweisen. Aufgrund dessen habe die Gemeinde im Dezember 2020 eine weitere Festgeldanlage getätigt und bestehende Geldanlagen nicht vor der Insolvenz der Bank gekündigt.
Die Argumentation des Anlagevermittlers, eine Haftung sei aufgrund eines vereinbarten Haftungsausschlusses in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht möglich, habe das Gericht hingegen nicht überzeugt. Ebenso wenig überzeugte das Gericht die laut Kanzlei unzutreffende Behauptung, die Gemeinde Vaterstetten habe die Festgeldanlagen unbedingt bei der Greensill Bank tätigen wollen. Das Landgericht München I habe vielmehr darauf abgestellt, dass die unvollständige Auskunft ursächlich für die Anlageentscheidung der auf eine sichere Festgeldanlage bedachten Gemeinde war.
Außergerichtliche Lösung scheiterte
Zunächst hatte die Kanzlei der Gemeinde Vaterstetten empfohlen, mit dem Anlagevermittler eine außergerichtliche Lösung zu suchen. Dazu sei der Vermittler jedoch nicht bereit gewesen. Daraufhin hatte die Kanzlei für die Gemeinde Ende Februar 2022 eine Schadensersatzklage gegen den Anlagevermittler vor dem Landgericht München I eingereicht.
Das Urteil vom 19. August ist noch nicht rechtskräftig. Der Anlagevermittler kann dagegen noch bis zum 19. September 2022 Berufung beim Oberlandesgericht München einlegen. „Allerdings dürfte bereits das erstinstanzliche Urteil aufgrund seiner fundierten Begründung eine Signalwirkung für zahlreiche andere Kommunen in Deutschland haben, die bei ihren Festgeldanlagen bei der Greensill-Bank ebenfalls auf die Expertise von Anlagevermittlern zurückgegriffen haben“, sagt Rechtsanwalt Jochen Weck von der Kanzlei Roessner.