Rückabwicklung statt Schadensersatz: Mit dieser Taktik im Rechtsstreit um spekulative Swaps hat die Stadt Füssen Neuland betreten. Nun steht das Urteil des LG München I an. Der Anwalt der Kommune zeigt sich optimistisch – und glaubt, dass Füssen einen Präzedenzfall für unzählige Kommunen schaffen dürfe, die bisher nicht mit ihren Derivatgeschäften an die Öffentlichkeit gegangen sind.

Nach mehreren Jahren geht der Streit um die Derivatgeschäfte der Stadt Füssen in die vorerst letzte Runde. In der vergangenen Woche hat das Landgericht (LG) München I in einer weiteren mündlichen Verhandlung nochmal seine vorläufige Auffassung wiederholt: Nach Ansicht der Richter müssen die spekulativen Derivatgeschäfte der Kommune rückabgewickelt werden. Die Stadt könnte sich damit alle geleisteten Zahlungen zurückholen, zukünftige Zahlungspflichten wären hinfällig. 

Füssen greift „Swaptions“ an

Die Stadt Füssen hatte bei der ersten mündlichen Verhandlung gegen eine Tochter der Bank Hauck & Aufhäuser im Dezember 2018 argumentativ Neuland betreten: Anders als andere Kommunen, die in der Vergangenheit mit Swap-Geschäften Verluste gemacht hatten, hatte Füssen nicht nur auf Schadensersatz geklagt, sondern versucht, die zugrundeliegenden Verträge für nichtig erklären zu lassen.

Die Stadt hatte sich unter anderem auf sogenannte „Swaptions“ eingelassen: Bei diesen Deals kann die Bank eine Option ziehen und erst dann in den Swap eintreten, wenn die Zinsen sich für sie günstig entwickeln. Bis zu diesem Zeitpunkt zahlt sie eine Stillhalteprämie. Das Finanzinstitut riskiert dabei lediglich, die Prämie zu verlieren, die Stadt dagegen trägt das Risiko eines unbegrenzten Verlusts bei schlechter Zinsentwicklung.

Keine Genehmigung der Swaps

Aus Sicht des Münchener Anwalts Jochen Weck, der die Stadt Füssen berät, sind diese Abmachungen spekulativ – und hätten deshalb von der Aufsichtsbehörde, dem Landratsamt Ostallgäu, genehmigt werden müssen. Beim Vertragsschluss ist das aber nicht passiert: Die Stadt hätte damals gar nicht erkannt, dass die Vereinbarungen spekulativ und damit genehmigungspflichtig gewesen seien, hatte Füssens damaliger Bürgermeister Paul Iacob, in dessen Ägide ein Teil der Abschlüsse fiel, im Dezember 2018 gegenüber dieser Redaktion erklärt: „Das war Beratung mit viel Sonnenschein, bei der die Regenwolken nicht zur Sprache gekommen sind.“ Die Bank hätte die Geschäfte als kommunalrechtlich zulässige Zinsoptimierung verkauft.

Mittlerweile aber hat die Stadt die Verträge dem Landratsamt Ostallgäu vorgelegt, das die Genehmigung verweigert hat. Die kommunalrechtliche Folge: Die Geschäfte sind nichtig und müssen deshalb rückabgewickelt werden. Ob die Bank ein Verschulden trifft, weil sie die Kommune im Vorfeld nicht richtig über Risiken aufgeklärt hat, spielt dann keine Rolle mehr. Ebenso wenig, ob Kämmerer, Bürgermeister oder sonstige handelnde Personen selbst hätten erkennen können, auf was für eine Art von Geschäft sie sich tatsächlich einließen.

Landsberg folgt Füssens Taktik

Füssen hat sich damit als erste Kommune überhaupt aus der Deckung gewagt – andere hätten sich in den vergangenen Jahren vor diesem Schritt gescheut, erklärt Weck. Der Grund: Die Aufsichtsbehörden kennen sich meist nicht mit den komplexen Gestaltungen der Swap-Verträge aus und würden sich mit falschen Entscheidungen selbst angreifbar machen.

Weck vertritt neben der Stadt Füssen nun auch die Stadt Landsberg am Lech vor dem LG München I. Sie hatte ebenfalls mit Derivatgeschäften Millionenverluste angehäuft. Zudem hatte das LG Augsburg den früheren Landsberger Kämmerer Manfred Schilcher wegen Untreue in diesem Zusammenhang zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung allerdings aufgehoben. Die Stadt Landsberg hat sich nun der Taktik von Füssen angeschlossen und ihre Swap-Verträge der Aufsichtsbehörde zur Genehmigung vorgelegt – die diese wenig überraschend ebenfalls versagt hat.

Während die Stadt Füssen ihre gezahlten Zinsen in Höhe von 2,8 Millionen Euro zurückfordert, geht es in Landsberg allerdings um eine Klage der Bank Hauck & Aufhäuser, die von der Stadt ausstehende Zahlungen über 5,8 Millionen Euro einfordert.

Hauck & Aufhäuser: Gericht hätte selbst prüfen müssen

In beiden Verfahren sollen die Urteile am 13. April fallen. Dass das Landgericht das allerletzte Wort haben wird, ist indes unwahrscheinlich. Sollte das Gericht im Sinne der Kommunen entscheiden, scheint ein Gang in die nächste Instanz so gut wie gewiss, auch wenn Hauck & Aufhäuser sich dazu aktuell noch nicht äußern möchte.

Die Bank lässt allerdings keinen Zweifel daran, was sie von der Einstellung der Münchener Richter hält: „Aus Sicht von Hauck & Aufhäuser sowie ihrer Prozessbevollmächtigten erscheint die in der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 2021 geäußerte Rechtsauffassung der 3. Zivilkammer des Landgerichts München zur Wirksamkeit der Derivate kaum tragfähig. Sie ist zudem unvereinbar mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts München und des Bundesgerichtshofs“, teilt eine Sprecherin der Bank auf Nachfrage dieser Zeitung mit. Vor allem hätte das Gericht die ablehnenden Entscheidungen der Landratsämter selbst überprüfen und sich nicht an deren Entscheidungen gebunden sehen dürfen, betont das Geldhaus.

Keine „Zockerei“ der Kommunen

Anwalt Weck zeigt sich vor den Urteilen unterdessen optimistisch. „Ich gehe davon aus, dass in deutschen Kommunen noch hunderte spekulative Swap-Geschäft schlummern, die die betroffenen Kommunen dann auch angreifen könnten.“ In der Vergangenheit hätten sich viele bedeckt gehalten aus Angst, in der Öffentlichkeit als Zocker gebrandmarkt zu werden. Das könnte sich durch die Urteile nun ändern, hofft Weck – im Zweifel spätestens mit einer höchstrichterlichen Entscheidung zugunsten der Kommunen. „Ich habe mich immer dagegen verwahrt, von Zockerei der Kommunen zu sprechen. Ich finde es skandalös, dass die Bürgermeister und Kämmerer zum Teil wegen Untreue angeklagt worden sind und diejenigen, die die Geschäfte empfohlen haben, dann als Zeugen im Gerichtssaal saßen.“

Vielen Kommunen dürften dabei auch die Verjährungsfristen in die Karten spielen: Abgesehen von der allgemeinen zehnjährigen Verjährungsfrist ab Vertragsschluss würde die dreijährige vertragliche Verjährungsfrist – wenn die Taktik in den Fällen Füssen/Landsberg aufgeht  – erst mit der Versagung der Genehmigung beginnen. „Das macht die Sache für Kommunen jetzt so spannend und für die Banken so riskant“, sagt Weck.

 

s.doebeling(*)derneuekaemmerer(.)de

 

Info

Alle Entwicklungen zu Swap-Prozessen von Kommunen finden Sie auf der DNK-Themenseite.

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