Während die Stadt Verl in Nordrhein-Westfalen jetzt erstmals ihre Anlagerichtlinie um Nachhaltigkeitskriterien erweitert hat, wurde in Göttingen laut Kämmerer Christian Schmetz bereits das erste Update nötig. Dort hatte noch Schmetz’ Vorgänger Hans-Peter Suermann dafür gesorgt, dass 2017 die ersten Nachhaltigkeitskriterien ihren Eingang in die städtische Anlagerichtlinie fanden.
In Verl hingegen gab es zwar ebenfalls bereits eine Anlagerichtlinie, diese beinhaltete aber noch keine Nachhaltigkeitskriterien. „Der Entwurf der Anlagerichtlinie mit den ESG-Kriterien ist in trockenen Tüchern“, sagt Sven Schallenberg, Kämmerer der Stadt Verl im Gespräch mit DNK. Ende September hat der Rat der Stadt die Erweiterung der Anlagerichtlinie um Nachhaltigkeitskriterien verabschiedet. „Die ESG-Kriterien sind jetzt ergänzend, wie ein separates feines Sieb, unter die Anlagerichtlinie gelegt“, erklärt Schallenberg. Zum 1. Januar 2023 sollen die neuen Kriterien in einem ersten Schritt implementiert werden.
MSCI-ESG-Rating überprüft Nachhaltigkeitskriterien
Der erweiterten Anlagerichtlinie zufolge setzt die Stadt „vorrangig … auf Unternehmen und Staaten, die in Bezug auf einen verantwortungsbewussten Umgang mit ökologischen Ressourcen, sozialen und gesellschaftlichen Standards sowie den Grundsätzen einer verantwortungsvollen Governance innerhalb der Peer Group Vorreiter sind.“ Das MSCI-ESG-Rating überprüfe diese Kriterien. Auch in Göttingen erfolgt die Prüfung der Kriterien über dieses Rating.

Stadt Verl
Bislang hatte Verl in der Anlagerichtlinie unter anderem die Anlageklassen und Laufzeiten fixiert und auch geregelt, dass der Rat die Hoheit über alle Anlageentscheidungen hat. Auch hat die Stadt, die in den Worten ihres Kämmerers über ein „nicht unerhebliches Liquiditätsvermögen“ verfügt, einen Anlagebeirat, der zweimal im Jahr, einmal im März und einmal im September, tagt.
Auch Göttingen schätzt sich laut Kämmerer Schmetz glücklich, zu den Kommunen zu gehören, die überhaupt Geld anlegen können. In der Universitätsstadt mit etwa 119.000 Einwohnern entfalle das Gros auf die Pensionsanlagen in Höhe von knapp 70 Millionen Euro. Jeweils ein Drittel sei davon noch in alten Anlagen ohne Nachhaltigkeitskriterien angelegt, ein Drittel unter der Fassung von 2017, und ein weiteres Drittel werde vermutlich im Januar oder Februar 2023 unter Berücksichtigung der jüngsten Richtlinien angelegt werden.
ESG-Kriterien in den Anlagerichtlinien
Die rund 25.000-Einwohner-Stadt Verl lässt sich beim Thema Anlagemanagement vom Strategieberater für Kapitalanlagen Böhke und Compagnie aus Braunschweig beraten – auch Göttingen stand das Unternehmen bei der Überarbeitung der Nachhaltigkeitskriterien zur Seite. Bevor Städte über Nachhaltigkeitskriterien bei ihren Anlagen nachdenken könnten, benötigten sie zwingend eine Anlagerichtlinie, sagt Richard Feininger, Gesellschafter bei Böhke.
Im Rahmen eines Workshops hat die Strategieberatung die Richtlinien zusammen mit dem Anlagebeirat der Stadt Verl erarbeitet. „Wichtig war uns, dass wir dabei nicht mit der Sense durchgehen“, sagt Feininger. Doch sollten Unternehmen ausgeschlossen werden, die in „Sachen Nachhaltigkeit nicht unterwegs sind“. Dabei sollten sowohl ethische, soziale und Aspekte der guten Unternehmensführung berücksichtigt als auch Kursverlustrisiken möglichst ausgeschlossen werden, erklärt Feininger die Vorgaben der Stadt.
Altanleihen bleiben zunächst außen vor
Insgesamt habe man sehr viele Stellschrauben, wichtig sei dabei vor allem, zusammen mit den Anlegern daran zu drehen. Mit den Nachhaltigkeitskriterien hat Verl jetzt Umsatzgrenzen für Branchen eingezogen. So darf die Stadt künftig beispielsweise nicht in Unternehmen investieren, die mehr als 5 Prozent Umsatz mit Alkohol erzielen. Wäre Alkohol ganz ausgeschlossen worden, fielen beispielsweise auch Anlagen etwa in Fluggesellschaften heraus, da sie Alkohol an Bord verkaufen. Auch Atomenergie habe man aus der gleichen Überlegung heraus nicht gänzlich ausgeschlossen.
„Wir wollen damit verhindern, dass wir uns bei Anlageentscheidungen ein zu enges Korsett geben“, erklärt der Kämmerer. Altanleihen bleiben unberührt Im Wesentlichen fielen ab Januar Neukäufe von Aktien und Anleihen unter die Anlagerichtlinie, Altanleihen blieben zunächst außen vor. „So haben die Fondsmanager noch Zeit für die Umstellungen“, sagt Schallenberg. Doch auch die jetzt beschlossenen Prozentsätze sind laut dem Kämmerer „nicht in Blei gegossen.“ Die Stadt Verl werde den Prozess „kritisch und ehrlich“ überprüfen und „kontinuierlich nachjustieren“.
Schallenberg, erst seit Mitte Januar 2022 Kämmerer der Stadt Verl, hat das Projekt von seinem Vorgänger Heribert Schönauer übernommen. „Ich selbst bin wie die Jungfrau zum Kind zu diesem Thema gekommen“, erklärt Schallenberg schmunzelnd.