Die Stadt Verl hat ihre Anlagerichtlinie um Nachhaltigkeitskriterien erweitert. „Der Entwurf der Anlagerichtlinie mit den ESG-Kriterien ist in trockenen Tüchern“, sagt Sven Schallenberg, Kämmerer der Stadt Verl. Ende September hat der Rat der Stadt die Erweiterung der bestehenden Anlagerichtlinie um Nachhaltigkeitskriterien verabschiedet. „Die ESG-Kriterien sind jetzt ergänzend, wie ein separates feines Sieb, unter die Anlagerichtlinie gelegt“, erklärt Schallenberg. Zum 1. Januar 2023 sollen die neuen Kriterien in einem ersten Schritt implementiert werden.
Der erweiterten Anlagerichtlinie zufolge setzt die Stadt „vorrangig … auf Unternehmen und Staaten, die in Bezug auf einen verantwortungsbewussten Umgang mit ökologischen Ressourcen, sozialen und gesellschaftlichen Standards sowie den Grundsätzen einer verantwortungsvollen Governance innerhalb der Peer Group Vorreiter sind.“ Das MSCI ESG-Rating überprüfe diese Kriterien.
Bislang hatte Verl in der Anlagerichtlinie unter anderem die Anlageklassen und Laufzeiten fixiert und auch geregelt, dass der Rat die Hoheit über alle Anlageentscheidungen hat. Auch hat die Stadt, die in den Worten des Kämmerers über ein „nicht unerhebliches Liquiditätsvermögen“ verfügt, einen Anlagebeirat, der zwei Mal im Jahr, einmal im März und einmal im September, tagt.
Grundlage für ESG-Kriterien ist eine bestehende Anlagerichtlinie
Darüber hinaus lässt sich die rund 25.000-Einwohnerstadt beim Thema Anlagemanagement vom Strategieberater für Kapitalanlagen Böhke und Compagnie aus Braunschweig beraten – so jetzt auch bei der Erweiterung ihrer Anlagerichtlinie. Bevor Städte über Nachhaltigkeitskriterien bei ihren Anlagen nachdenken, benötigen sie zwingend eine Anlagerichtlinie, sagt Richard Feininger, Gesellschafter bei Böhke.
Im Rahmen eines Workshops hat die Strategieberatung die Richtlinien zusammen mit dem Anlagebeirat der Stadt erarbeitet. „Wichtig war uns, dass wir dabei nicht mit der Sense durchgehen“, sagt Feininger. Doch sollten Unternehmen ausgeschlossen werden, die in „Sachen Nachhaltigkeit nicht unterwegs sind“. Dabei sollten sowohl ethische, soziale und Aspekte der guten Unternehmensführung berücksichtigt als auch Kursverlustrisiken möglichst ausgeschlossen werden, erklärt Feininger die Vorgaben der Stadt. Insgesamt habe man sehr viele Stellschrauben, wichtig sei dabei vor allem zusammen mit den Anlegern daran zu drehen.
Mit den Nachhaltigkeitskriterien hat Verl jetzt Umsatzgrenzen für Branchen eingezogen. So darf die Stadt künftig beispielsweise nicht in Unternehmen investieren, die mehr als 5 Prozent Umsatz mit Alkohol erzielen. Wäre Alkohol ganz ausgeschlossen worden, fielen beispielsweise auch Anlagen etwa in Fluggesellschaften heraus, da sie Alkohol an Bord verkaufen. Auch Atomenergie habe man aus der gleichen Überlegung heraus nicht gänzlich ausgeschlossen. „Wir wollen damit verhindern, dass wir uns bei Anlageentscheidungen ein zu enges Korsett geben“, erklärt der Kämmerer.
Alt-Anleihen bleiben von der Anlagerichtlinie unberührt
Im Wesentlichen fallen ab Januar Neukäufe von Aktien und Anleihen unter die Anlagerichtlinie. Alt-Anleihen blieben zunächst außen vor. „So haben die Fondsmanager noch Zeit für die Umstellungen“, sagt Schallenberg. Doch auch die jetzt beschlossenen Prozentsätze sind laut dem Kämmerer „nicht in Blei gegossen.“ Die Stadt Verl werde den Prozess „kritisch und ehrlich“ überprüfen und „kontinuierlich nachjustieren“.

Sven Schallenberg, Stadt Verl
Schallenberg, erst seit Mitte Januar 2022 Kämmerer der Stadt Verl, hat das Projekt von seinem Vorgänger Heribert Schönauer übernommen. Schönauer ist Ende 2021 aus dem aktiven Dienst ausgeschieden. Auf politischen Antrag der Mehrheitsfraktion im Stadtrat hatte die Kämmerei im vergangenen Jahr erste Vorbereitungen für die Erweiterung der Anlagerichtlinie getroffen. „Ich selbst bin wie die Jungfrau zum Kind zu diesem Thema gekommen“, erklärt Schallenberg schmunzelnd.