Herr Dr. Bergerhoff, unter Ihrem Portrait auf der Website der Stadt Frankfurt zitieren Sie Arnold Bode: „… wir meinen aber, man könnte etwas Neues versuchen.“ Welche Bedeutung hat dieses Zitat für Sie?
Das Zitat ist im doppelten Sinn zu verstehen. Es ist ein Leitsatz nicht nur für mich persönlich, sondern auch für die neue Frankfurter Koalition, denn er steht über dem aktuellen Koalitionsvertrag. Ich persönlich identifiziere mich damit, weil ich denke, dass ich als Stadtkämmerer den Freiraum habe, Innovationen einzuführen – beispielsweise, um an Strukturen zu arbeiten und damit die Basis für Neues zu schaffen. Ich habe mir vorgenommen, mehr strategisches Controlling zu implementieren – auch mit Blick auf den Konzern Stadt. Schließlich erbringen die Beteiligungsgesellschaften einen großen Teil der Leistungen der Daseinsvorsorge. Diese Welt zusammenzuhalten und sämtliche Chancen auszunutzen, das ist ein Ziel, das ich verfolgen möchte.
Außerdem setze ich auf eine Haushaltsplanung nach dem Gegenstromverfahren statt wie bislang nach dem Bottom-up-Verfahren. Damit möchte ich versuchen, die allgemeinen Prozesse zwar beizubehalten, die Haushaltsaufstellung aber weniger als bilaterale Angelegenheit zwischen den Dezernentinnen und Dezernenten sowie dem Stadtkämmerer zu gestalten. Die Gesamtverantwortung von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung rückt stärker in den Vordergrund. Diesen Wechsel möchte ich schon im kommenden Haushaltsjahr einleiten, und ich denke, dass das auch gelingen wird, denn die Kolleginnen und Kollegen haben das Vorhaben einhellig begrüßt.
Wie sieht für Sie Frankfurt als Stadt der Zukunft aus?
Für mich sind die Themen Klimaanpassung und Mobilität die zentralen Zukunftsthemen der Stadt. Stichwort: „Green City“. Da gibt es europäische Leuchtturmprojekte, von denen wir viel lernen können. Gerade als flächenmäßig kleine und gleichzeitig wirtschaftskräftige Stadt haben wir gute Voraussetzungen, um innovative Mobilitätskonzepte umzusetzen und das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.
Wie wollen Sie als Stadtkämmerer darin unterstützen, die aus den SDGs abgeleiteten Ziele zu erreichen?
Allgemein und auch hier in Frankfurt haben wir im Bereich der Nachhaltigkeit einen großen Bedarf an mehr Wirkungsorientierung. Dazu müssen wir Kennzahlen erheben und nutzen – in der Kernverwaltung und im Bereich der Beteiligungen. Das ist ein großer und komplexer Bereich, den wir aber unbedingt angehen müssen, denn diese Kennzahlen benötigen wir auch für Tragfähigkeitsuntersuchungen, die für uns elementar sind, wenn es um die Finanzierung von Infrastruktur geht.
Frankfurt zählt zu den finanzstarken Städten, hat aber auch besonders unter den Auswirkungen der Pandemie gelitten. Sehen Sie sich in der Lage, sämtliche Ziele zu verfolgen, die Sie sich gesteckt haben?
Insgesamt ist der Haushaltsrahmen aufgrund der Auswirkungen der Coronakrise schwierig, aber wir wollen die Politik ändern und müssen daher neu priorisieren. Klimaschutzprojekte im Bereich der Mobilität oder auch bei Gebäuden kosten natürlich viel Geld. Ich hoffe nun auf den notwendigen Schwung aus Berlin.
In den vergangenen 20 Jahren haben Sie in der IT-Branche gearbeitet. Wie schätzen Sie den Stand der Digitalisierung auf der Ebene der Kommunen ein?
Corona hat als Digitalisierer gewirkt, aber dabei ist ein ziemlicher Wildwuchs entstanden. Der muss jetzt strukturiert werden. Dabei geht es nicht um Command-and-Control-Prozesse. Auf kommunaler Ebene müssen wir die Prozesse kollaborativ aufsetzen und zusammenführen. Der Digitalisierungsfortschritt ist dabei nicht nur im Vergleich zwischen den Städten, sondern auch innerhalb der Verwaltung sehr unterschiedlich. Während zum Beispiel das Frankfurter Kassen- und Steueramt schon alle Gewerbesteuerakten digitalisiert hat, haben wir bei anderen städtischen Dienstleistungen mit der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes noch zu kämpfen. Dabei ist das entscheidende Problem, dass die Ressourcen äußerst knapp sind. Aber der Wille ist da, und ich denke, dass man mit Augenmaß und Pragmatismus weit kommen kann.
Als Kämmerer verantworten Sie nun die Finanzen der Stadt. Tatsächlich haben Sie aber bislang weder im Finanzwesen noch in der Verwaltung gearbeitet. Sie haben Physik studiert, als Softwarespezialist gearbeitet und sich fast 20 Jahre in der Frankfurter Kommunalpolitik engagiert. Bringen Sie damit das Rüstzeug für Ihre neue Position mit?
Auf meine neue Aufgabe blicke ich mit Respekt, und hätte ich nicht Ämter mit ausgezeichneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, hätte ich ein Problem. Aber tatsächlich besteht meine Aufgabe vor allem darin, zu steuern und zu vermitteln. Natürlich muss ich die Dinge verstehen, aber da ich einige Jahre im Controlling gearbeitet habe, fällt es mir leicht, mich einzuarbeiten. Im Übrigen bin ich sehr strukturiert und analytisch veranlagt. Das hat mir bislang immer geholfen.
Mit der neuen Koalition aus Grünen, SPD, FDP und Volt regieren nun in Frankfurt vier Partner zusammen. Fürchten Sie, dass es schwierig wird, in dem Bündnis Entscheidungen zu fällen?
Natürlich wird das Regieren schwieriger, je mehr Partner am Tisch sitzen. Aber die Frankfurter Koalition gibt die Realität wieder und damit auch die Debattenlage der Gesellschaft. Für uns stellt sich nun nur die Frage, wie wir mit unterschiedlichen Auffassungen umgehen, und dazu kann ich sagen, dass wir in den Koalitionsverhandlungen schon viel geübt haben. Insgesamt herrscht ein sehr kooperativer Geist. Ein schönes Umfeld für Innovationen.
Info
Vanessa Wilke ist gemeinsam mit Sarah Döbeling Chefredakteurin der Zeitung „Der Neue Kämmerer“. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster arbeitete Vanessa Wilke als freie Journalistin beim Handelsblatt, bis sie 2003 ihr Volontariat bei FINANCE begann. Dort entwickelte sie im Jahr 2004 die Zeitung „Der Neue Kämmerer“ sowie den „Deutschen Kämmerertag“ und leitete anschließend die Redaktion. 2017 begann sie mit der Entwicklung von „OBM – Zeitung für Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister“. 2020 folgte die Weiterentwicklung dieses Themenfelds in der Plattform #stadtvonmorgen, die seitdem ebenfalls zu ihrem Verantwortungsbereich zählt.