In seinem Impulsvortrag zum Thema „Stabiles Geld – unentbehrliche Voraussetzung für zukunftsgerichtetes Handeln“ wies Otmar Issing, früherer Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), den DNK-Fachbeirat auf die wirtschaftliche Unsicherheit hin, die von verschiedenen Schocks ausgelöst wurde. Zum Beispiel habe das Auftreten Chinas zunächst das Arbeitsangebot in der Weltwirtschaft gewaltig erhöht und auf Preise und Löhne gedrückt. Seither habe sich die demographische Situation völlig verändert. Der Faktor Arbeit werde knapper, Löhne und Preise stiegen stärker. Auf den deflatorischen Druck folge also jetzt eine Phase, die lohn- und preissteigernd wirkt.
Die vielfachen parallelen Schocks wirkten sich nach Issings Darstellung über die Finanzmärkte auch auf die Finanzen von Städten wie Würzburg aus. Issing warnte vor überhöhten Lohnsteigerungen, die erneut Druck auf die Preise ausüben würden. In dieser Situation sei es entscheidend, dass die EZB entsprechend ihrem Mandat die Stabilität des Geldwerts verteidige und die Inflationserwartungen fest verankert blieben. Dann könnten die Gewerkschaften ihre Forderungen an niedrigeren Preissteigerungsraten ausrichten. Dabei erlaubte er sich einen Seitenhieb auf die Ansätze zur Bevorzugung grüner Anleihen durch die EZB. „Die EZB ist für Preisstabilität zuständig und nicht für gesellschaftspolitische Vorhaben wie den Klimaschutz“, mahnte Issing.
Wachstumspotentiale und die Kosten der Inflation
Mit Blick auf die jüngste Zinssenkung erklärte er die lange Phase der Zinsanhebungen und die kürzliche Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte mit der berechtigten Sorge um die Verfestigung der Inflation. Man müsse die geringen Wachstumsspielräume berücksichtigen, die schnell zu einer Auslastung der Kapazitäten führen könne. So betrage das Produktionspotential aktuell lediglich 0,4 Prozent, damit seien keine großen Wachstumssprünge möglich. Insofern zeigte er sich von den Diskussionen um eine Verringerung des Arbeitseinsatzes irritiert. „Mit der 4-Tage-Woche – und das zu vollem Lohnausgleich – kommen wir nicht weiter“, stellte er fest. Issing schloss dennoch mit einem optimistischen Ausblick. Das Wort Krise trage in seiner ursprünglichen Bedeutung neben dem Risiko auch die Chance für Reformen in sich.
In der anschließenden Diskussion wies der Gastgeber des diesjährigen Treffens, Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt darauf hin, dass Deutschland in den vergangenen Krisen gezeigt habe, dass es Krisenmanagement beherrsche und schnelle Veränderungen immer noch möglich seien. Das Problem an der aktuellen wirtschaftlichen Lage wie auch bezogen auf die überbordende Bürokratie sei die schleichende Veränderung, die zwar Handlungsaktivität aber eine nur unzureichende Umsetzungsaktivität erzeuge.
Er fragte Issing, wie er den inflationsorientierten Schuldenabbau zur Verbesserung der Haushaltskennziffern und damit zur Schaffung von Spielräumen für die transformationsbedingte Investitionstätigkeit einschätze. Issing war hinsichtlich eines Schuldenabbaus mit Hilfe der Inflation skeptisch und wies auf die sozialen Kosten der Inflation hin: „Nichts hat das deutsche Volk so hitlerreif gemacht wie die Inflation“, zitierte er Stefan Zweig. Nichts sei schlimmer als der langsame Abstieg eines Landes. Als Mittel für mehr Wachstum empfahl er Bürokratieabbau und Steuersenkungen. Mit Blick auf die derzeitige Wirtschaftspolitik sagte er: „Wenn die Anreize falsch gesetzt sind, kommt die Wirtschaft nicht voran.“ Auf die Frage von Christian Trost, Partner von BDO und Geschäftsführer von BDO Concunia, nach den Kosten von Energiewende und Wärmeplanung verwies Issing auf den CO2-Preis als das einzig geeignete marktwirtschaftliche Instrument.
Veränderung der Prioritäten
Auf die kritischen Ausführungen Issings zur politischen Einflussnahme auf den Mindestlohn reagierte Nürnbergs Stadtkämmerer Thorsten Brehm mit dem Hinweis auf die wachsenden Ausgaben für Sozialtransfers. Viele Menschen seien arm trotz Arbeit und Rente. Der Mindestlohn entlaste die Städte bei den Sozialausgaben. Issing merkte an, dass sich Deutschland sozialpolitisch zu viel geleistet und zu wenig in die Infrastruktur investiert habe. Es sei eine Veränderung der Prioritäten notwendig, die sich in den nächsten Wahlen widerspiegeln könne. Der durch die Schuldenbremse erreichte Schuldenabbau erspare Zinszahlungen und mache damit Mittel frei. Hildesheims Finanzdezernent Ulf Behnel sprach daraufhin die Idee einer Freistellung generationengerechter Investitionen von der Schuldenbremse an, die durch eine Aufteilung der Verschuldung in solche zu konsumtiven und solche zu investiven Zwecken erreicht werden könne. Diese Sichtweise habe sich im Rahmen der Einführung der Doppik auf Ebene der Kommunen mittlerweile etabliert. In Bezug auf die Nettoverschuldung sei eine Berücksichtigung bei der Berechnung der Verschuldungsgrenze möglich, wenn eine unabhängige Überprüfung der investiven Ausgaben erfolge, meinte Issing. Das sei aber schwierig, schloss er.
g.schilling@derneuekaemmerer.de
Gunther Schilling ist Verantwortlicher Redakteur Public Sector mit Schwerpunkt „#stadtvonmorgen“. Für „Der Neue Kämmerer“ schreibt er insbesondere über die Themen Haushalt und kommunale Unternehmen. Der Diplom-Volkswirt ist seit 1990 als Redakteur in der F.A.Z.-Verlagsgruppe tätig. Das Team von „Der Neue Kämmerer“ verstärkt Gunther Schilling seit Januar 2022. Zuvor war er Leitender Redakteur des Außenwirtschaftsmagazins „ExportManager“.

