Herr Jäger, Sie sind in Ihrem Beruf Quereinsteiger. Was haben Sie gemacht, bevor Sie Kämmerer im hessischen Hatzfeld an der Eder geworden sind?
Ich bin seit 1. Januar dieses Jahres Kämmerer. Vorher war ich CFO bei einem Automotive-Zulieferer im Bereich Magnesium Spritzguss. Dadurch, dass Autos leichter werden müssen, aufgrund der Elektrifizierung, werden heutzutage viele Teile mit Magnesium gegossen.
Dann hatten Sie vorher als Finanzvorstand also auch schon viel mit Zahlen zu tun?
Ja genau. CFO war ich aber nur zweieinhalb Jahre, denn ich habe die Abspaltung des Zulieferers und den Aufbau eines Werkes in Rumänien begleitet. Davor war ich zwölfeinhalb Jahre beim Heizungshersteller Viessmann. Dort habe ich das Controlling geleitet und war unter anderem für die Startups zuständig. Die Viessmann-Werke transformieren sich mithilfe mehrerer junger Unternehmen gerade Richtung Digitalisierung.
Und wie sind Sie dann auf die Idee gekommen, ausgerechnet in einer Gemeinde anzuheuern?
Ich mache seit 15 Jahren ehrenamtlich Kommunalpolitik. Ich bin zum Beispiel Ortsvorsteher in Rengershausen, einem Ortsteil der Stadt Frankenberg an der Eder. Und ich bin im Stadtparlament in Frankenberg.
Hier war ich erst finanzpolitischer Sprecher, jetzt bin ich Stadtverordnetenvorsteher. Ich war auch schon Vorsitzender der CDU-Fraktion in der Frankenberger Stadtverordnetenversammlung. Im Bereich Automotive wollte ich aus privaten Gründen nicht mehr arbeiten. Ich war immer überall auf der Welt unterwegs und wollte lieber mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. In Hatzfeld hat sich dann die Möglichkeit ergeben, in der Stadtverwaltung anzufangen, weil der Stadtkämmerer im Frühjahr 2021 in Pension ging.
„Zum Beispiel erreichen Sie mich gerade im Homeoffice – das hätte es vor zwei bis drei Jahren in der Stadtverwaltung noch nicht gegeben.“
Welche Parallelen sehen Sie denn zwischen Ihrem ehemaligen Job als CFO und dem als Kämmerer?
In der Kommune sehe ich eine ähnliche Situation wie vor zehn Jahren bei Viessmann: Man geht in die Digitalisierung, verschlankt Prozesse und nutzt die vorhandene Technik intensiver. Zum Beispiel erreichen Sie mich gerade im Homeoffice – das hätte es vor zwei bis drei Jahren in der Stadtverwaltung noch nicht gegeben. Als Kämmerer bin ich, genau wie als CFO, bei den meisten Prozessen involviert. In der freien Wirtschaft und in der Verwaltung hat so gut wie alles etwas mit Zahlen zu tun.
Die öffentliche Verwaltung hat immer noch ein verstaubtes Image. Ist die Stadtverwaltung weniger agil als ein Unternehmen?
Nein. Ich habe mir den Unterschied selbst gravierender vorgestellt. Wir haben einen guten Bürgermeister, der mir sehr viele Freiheiten gibt. Wir sind in der Verwaltung flexibel. Der Gedanke „Verwaltung als Service“ funktioniert sehr gut. Natürlich gibt es gesetzliche Vorschriften, die strenger sind als in der freien Wirtschaft. 70 Prozent davon kannte ich aber schon aus meiner Zeit in der Kommunalpolitik. Außerdem erlebe ich eine große Offenheit der Kollegen gegenüber Innovationen.
„Jeden Tag treffen wir uns zum Morgenpitch, da geht es darum, wer woran arbeitet, und wo es vielleicht Probleme gibt.“
Welche Ideen haben Sie konkret aus der Wirtschaft in die Kämmerei eingebracht?
Zum Beispiel machen wir, seitdem ich Kämmerer bin, alle vier Monate Mitarbeitergespräche. Wir besprechen uns aber auch generell häufiger. Jeden Tag treffen wir uns zum Morgenpitch, da geht es darum, wer woran arbeitet, und wo es vielleicht Probleme gibt. Die Digitalisierung des Rechnungsmanagements war eingeschlafen, die haben wir vorangebracht und jetzt wird sie gerade ausgerollt. Ich habe auch dafür gesorgt, dass wir mehr Möglichkeiten des Programms Microsoft 365 nutzen. Beispielsweise haben wir damit das Ideenmanagement digitalisiert. Die Mitarbeiter können nun ihre Ideen für Verbesserungsprozesse eintragen. Das ist allerdings noch in der Ausrollphase, bisher haben mich zwischen 20 und 30 Anregungen erreicht. Wir machen auch Umfragen innerhalb der Verwaltung – zum Beispiel um herauszufinden, wie die Finanzverwaltung gesehen wird.
Wie beurteilt die Verwaltung denn den kommunalen Finanzbereich in Hatzfeld?
Sehr positiv. Bisher ist das aber nur eine Bestandsaufnahme von dem, was mein Vorgänger mit dem Team geleistet hat. Das war offenbar auch schon sehr innovativ und flexibel. Es gab aber auch ein paar Anregungen zur Verbesserung. Zum Beispiel wollen die Leiter der anderen Abteilungen über bestimmte Buchungsvorgänge informiert werden. Das haben wir bereits geändert.
„Ich habe jetzt auf jeden Fall weniger Arbeitsstunden als vorher in der Industrie.“
Sie sagten, dass Sie unter anderem in die Kämmerei gewechselt haben, um mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Die Einblicke, die wir zum Beispiel aus unserer Rubrik Kämmerer-Wahl in Sachen Arbeitsbelastung erhalten, zeigen, dass Kämmerer auch nicht gerade wenig arbeiten…
Ich habe jetzt auf jeden Fall weniger Arbeitsstunden als vorher in der Industrie. In der Planungsphase des Haushalts arbeite ich schon mal länger und manchmal ziehen sich Sitzungen bis in die Abendstunden, aber es gibt auch Tage, die einen Ausgleich schaffen. Das war bei mir vorher anders. Da der Automotive-Bereich weltweit aktiv ist, ruft auch mal jemand aus den USA oder Asien an, wenn es hier in Deutschland Nacht ist. Ich hatte auch gar keinen richtigen Urlaub. Zumindest einmal am Tag war ich auch im Urlaub erreichbar, meistens beim Gang mit unserem Hund zwischen 8 und 9 Uhr. Das habe ich in der Verwaltung auch angeboten – es wird aber nicht genutzt, das ist gar nicht nötig.
Was sind denn in Ihrer Kämmerei die größten Herausforderungen?
Ich bin noch teilweise in der Einarbeitung und wir haben gerade erstmalig einen Nachtragshaushalt erstellt. Die gesetzlich vorgeschriebene Digitalisierung nach dem Onlinezugangsgesetz ist natürlich wichtig. Auch der Umsatzsteuerparagraf 2b beschäftigt uns. Ich sehe das nicht so kritisch, da ich die Umsatzsteuer aus der freien Wirtschaft kenne, aber meine Kollegen kennen sich damit bisher noch nicht so gut aus. Da sehe ich internen Schulungsbedarf.
„Es hört sich vielleicht ungewöhnlich an, dass das Kämmerer-Dasein ein Traumjob sein kann – für mich ist das aber so.“
Welche Bilanz ziehen Sie nach zehn Monaten als Kämmerer?
Ich bin sehr glücklich mit meiner Entscheidung. Es hört sich vielleicht ungewöhnlich an, dass das Kämmerer-Dasein ein Traumjob sein kann – für mich ist das aber so. Mir gefallen der Umgang mit Zahlen, aber auch die Weiterentwicklung der Kommune und nah am Wohnort zu arbeiten. Ich gehe davon aus, dass ich hier alt werde.