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„War die Kameralistik nicht ehrlicher und klarer?“

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Mir ist ganz bewusst, dass man oftmals eine Ansicht nach den eigenen Erfahrungen und Ansichten ausrichtet und diese dann oft verankert, ohne sie weiter zu reflektieren. Ich will nicht ausschließen, dass dies in Bereichen auch bei mir der Fall ist. Mit diesem Blick erlaube ich mir allgemein festzustellen, dass aus Sicht der Doppikverfechter die Kameralistik oft als rückständig, nicht zielorientiert und vielleicht sogar unwirtschaftlich betrachtet wird. Ich finde das springt deutlich zu kurz.

Die Altvorderen haben mit der Kameralistik meines Erachtens ein Buchungssystem geschaffen, das auf den kommunalen Bereich optimal ausgerichtet ist. Abschreibungen und kalkulatorische Zinsen zu berücksichtigen ist möglich und wurde in der Vergangenheit im Bereich der kostenrechnenden Einrichtungen auch allermeist praktiziert.

Zahlen sind nur eingeschränkt vergleichbar

Was hat uns also die Doppik gebracht – außer viel mehr Aufwand und enorm hohe Kosten durch mehr Bürokratie? Was bringt Vergleichbarkeit, wenn Zahlen ohnehin nur sehr eingeschränkt vergleichbar sind? Wollen wir uns jetzt mit den EPSAS ernsthaft noch zu einem europäischen Rechnungslegungsstandard verpflichten, an den sich am Ende nicht alle, um nicht zu sagen nur wenige, halten werden? War da die Kameralistik nicht ehrlicher und klarer? Ich glaube nicht, dass der Kameralistik grundsätzliche Unwirtschaftlichkeit unterstellt werden kann. Warum sollte das Steuern nach Zielen in der Doppik besser gelingen als in der Finanzplanung der Kameralistik?

Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass je größer eine Kommune ist, desto größer möglicherweise der Vorteil und Anspruch an die Doppik dargestellt werden kann. Für kleinere und mittlere Kommunen sehe ich dies allerdings ganz anders.

Bewusst ist mir dabei auch, dass es gewissermaßen eine Art selbst erfüllende Prophezeiung gibt. Mittlerweile wird an allen Verwaltungshochschulen nur noch Doppik unterrichtet, die Kameralistik kennen nur noch die Alten. Damit steigt naturgemäß auch die Akzeptanz der Doppik.

Überbordende Standards überfordern Kommunen

Wenn die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommunen zunehmend abnimmt, ist dies in aller Regel nicht auf Misswirtschaft zurückzuführen sondern eher auf einen überbordenden Standard und immer höhere Ansprüche von Politik und Gesellschaft. Zudem haben der Bund und die jeweiligen Länder die Kommunen in den vergangenen Jahren so gegängelt worden, dass in Gemeinden mit einer soliden aber nicht üppigen Finanzausstattung die Luft zum Atmen und auch Entscheidungsspielräume knapp wurden.

Nach meinem Dafürhalten liegt eine nachlassende finanzielle Leistungsfähigkeit also vielmehr an den stetig zunehmenden Aufgaben die der Bund und die Länder an die Kommunen durchreichen und daran, dass die zum Teil vorhandenen finanziellen Polster der Kommunen abgeschmolzen werden. In diesem Zusammenhang nach europäischen Rechnungslegungsstandards zu rufen halte ich geradezu für fatal. Der damit verbundene bürokratische Aufwand würde kleinere und mittlere Kommunen schlicht und einfach überfordern.

Als 51-jähriger Kämmerer einer 12.000 Einwohner zählenden Kleinstadt in Baden-Württemberg treibt mich massiv die Sorge um, wie die Kommunen ihre Herausforderungen in Zukunft noch stemmen sollen. Sicher gelingt dies nicht mit noch mehr Bürokratie und sicher auch nicht durch ein immer Mehr an Auflagen und Verantwortlichkeit.

j.stoll@blaubeuren.de

Autor

Jürgen Stoll ist Stadtkämmerer der Stadt Blaubeuren in Baden-Württemberg.
Vanessa Wilke

Vanessa Wilke ist gemeinsam mit Sarah Döbeling Chefredakteurin der Zeitung „Der Neue Kämmerer“. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster arbeitete Vanessa Wilke als freie Journalistin beim Handelsblatt, bis sie 2003 ihr Volontariat bei FINANCE begann. Dort entwickelte sie im Jahr 2004 die Zeitung „Der Neue Kämmerer“ sowie den „Deutschen Kämmerertag“ und leitete anschließend die Redaktion. 2017 begann sie mit der Entwicklung von „OBM – Zeitung für Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister“. 2020 folgte die Weiterentwicklung dieses Themenfelds in der Plattform #stadtvonmorgen, die seitdem ebenfalls zu ihrem Verantwortungsbereich zählt.