Die ökonomische Situation hat sich in den vergangenen zwei Jahren grundlegend verändert. Negative Zinsen gehören nun der Vergangenheit an. Positive Zinsen, begleitet durch Unsicherheit mit Blick auf die Zukunft, sind die neue Realität. Fast alle in Lehrbüchern beispielhaft aufgeführten Krisen sind in den vergangenen Jahren Wirklichkeit geworden: Pandemie, Krieg in Europa und kürzlich auch wieder Bankenpleiten.
Risiken haben sich verschoben
Für den Umgang mit Liquiditätsüberschüssen haben die Krisen zur Folge, dass sich Renditemöglichkeiten und Risiken verschoben haben. Ein weiterer, sehr wichtiger Aspekt ist die Digitalisierung des gesamten Umfelds von Finanzdienstleistungsprozessen, die Notsituationen zusätzlich beschleunigen kann. Während es bei den Bankenpleiten von 2008 noch zu Warteschlagen vor Geldautomaten gekommen war, können heute Vermögenswerte in Zeiten des Online-Bankings mit wenigen Klicks innerhalb von Sekunden von A nach B verschoben werden. Zudem verbreiten sich Gerüchte über Schieflagen einer Bank über soziale Medien rasant. Einer Bank kann daher sehr schnell viel Liquidität entzogen werden. Für das Liquiditätsmanagement heißt dies, dass für Reaktionen, welcher Art auch immer, unverhältnismäßig wenig Zeit bleibt. Die jüngste Pleite der Silicon Valley Bank in den USA und der Notübernahme der von Credit Suisse durch die UBS innerhalb weniger Tage haben dies beispielhaft vor Augen geführt.
Augenmerk auf Sicherheit
Für Kämmereien bedeutet dies, dass sie ein besonderes Augenmerk auf die Sicherheit ihrer Anlagen richten müssen. So sollte die Anlage von Liquiditätsüberschüssen grundsätzlich im Rahmen eines wirkungsvollen Risikomanagements und nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot erfolgen. Hohe Renditen verleiten aber schnell dazu, Risiken zu vernachlässigen und im eigenen Bewusstsein zu verschleiern. Dies gilt insbesondere für das Ausfall- und Verlustrisiko. Einlagen, die Kommunen bei Banken tätigen, die einem Institutssicherungssystem angehören, sind weniger kritisch. Genau zu hinterfragen sind jedoch unbesicherte Einlagen, welche außerhalb eines Institutssicherungssystems getätigt werden.
Um das Risiko einer Geldanlage quantifizieren zu können, sollte die Kämmerei einen Referenzwert bestimmen und im ersten Schritt eine sichere Geldanlagemöglichkeit definieren. Diese wird in aller Regel gegenüber weniger sicheren, alternativen Anlagemöglichkeiten schlechtere Konditionen aufweisen. Fallen die Konditionen also deutlich besser aus als bei sicher geltenden Anlagemöglichkeiten, gibt dies einen Hinweis auf ein höheres Ausfall- und Verlustrisiko. Der gleichen Logik nach dienen auch die deutschen Staatsanleihen als Benchmark gegenüber anderen ausfallwahrscheinlicheren Staatsanleihen oder Unternehmensanleihen: Ist deren Rendite bei gleicher Laufzeit höher als bei der deutschen Staatsanleihe, preist der Markt ein höheres Ausfall- und Verlustrisiko ein.
EU-Kommission bleibt wenig konkret
Das Problem der begrenzten Einlagensicherung bei privaten Banken hat im Übrigen kürzlich die Europäische Kommission aufgegriffen (Pressemitteilung Brüssel, 18. April 2023: „Bankenunion: Kommission schlägt Reform des Rahmens für Krisenmanagement im Bankensektor und Einlagensicherung vor“). Die Kommission bestätigte, dass die „Anpassung und Stärkung des bestehenden EU-Rahmens für das Krisenmanagement im Bankensektor“ insbesondere mit Blick auf mittelgroße und kleinere Banken wichtig sei. Der Vorschlag regt unter anderem an, in Schieflage befindliche Banken unabhängig von ihrer Größe und ihrem Geschäftsmodell in einen geordneten Marktaustritt zu führen. Die Sicherheitsnetze, so wie es dort heißt, sollen vereinfacht werden, damit in einer Bankenkrise die Einleger ihre Konten von einem notleidenden auf ein stabiles Finanzinstitut übertragen können. Wie dies konkret gestaltet werden soll, geht aus dem Vorschlag jedoch nicht hervor.
Schutz von Steuergeldern
Der „Schutz von Steuergeldern“ wird im Zusammenhang mit Bankenrettung erwähnt, was aber auch für das Liquiditätsmanagement wichtiger ist, ist die „Verbesserung des Einlegerschutzes“. Die aktuell bestehende Deckungssumme von 100.000 Euro pro (privaten) Einleger und Bank in der EU bleibt für alle Einleger, die unter das System fallen, bestehen. Es wird aber vorgeschlagen, „[…] Standards für den Einlegerschutz in der gesamten EU weiter zu harmonisieren“. Unter anderem soll garantiert werden, dass die Schwelle von 100.000 Euro „vorübergehend“ überschritten werden kann. Die Kommission schlägt vor, diese Deckungssumme auf Krankenhäuser, Schulen sowie Gemeinden auszuweiten. Vor dem Hintergrund der großen Anlagevolumen der öffentlichen Einrichtungen sowie der vergangenen Schäden, die etwa durch die jüngste Greensill-Pleite den Kommunen entstanden sind, bleibt jedoch die Grenze von 100.000 Euro weithin zu gering. Selbst wenn es diese für kommunale Greensill-Gläubiger gegeben hätte, wären die Schäden in Höhe von mehreren zig Millionen Euro nur geringfügig kompensiert worden.
Das Ausfall- und Verlustrisiko wird zwar selbst bei vollständiger Umsetzung des Vorschlags abgeschwächt, wird aber großvolumige Einlagen bei notleidenden Banken nicht retten. Folglich müssen Kommunen ihre Geschäftspartner bei Liquiditätsanlagen weiterhin mit großer Sorgfalt auswählen. Es stellt sich zudem auch weiterhin die Frage, wie öffentliche Gelder angelegt werden können, ohne sie einem hohen Ausfall- und Verlustrisiko auszusetzen, zumal zum Zeitpunkt der Anlage möglicherweise noch nicht sämtliche Risiken absehbar sind.
Anlagerichtlinie legt Anforderungen fest
Eine Anlagerichtlinie gibt die Möglichkeit, quantitative und qualitative Anforderungen festzulegen. So sollten Kommunen beispielsweise mögliche Anlagevolumina pro Institut auf eine Maximalsumme begrenzen. Qualitative Anforderungen sind zwar schwieriger zu definieren, spielen aber mit Blick auf die Schnelllebigkeit in der digitalisierten Finanzwelt eine nicht weniger bedeutende Rolle. So wäre ein Aspekt, sich auf sogenannte „systemrelevante“ Banken zu beschränken, vor dem einfachen Hintergrund, dass diese im Falle wirtschaftlicher Schwierigkeiten eher staatsseitig unterstützt werden als kleinere Banken. Die Konzentration auf Großbanken bietet zudem den Vorteil größerer Transparenz im Hinblick auf die Beurteilung der Liquiditätsstabilität und Kreditwürdigkeit des jeweiligen Instituts.
Zeichen erkennen und handeln
Gerät eine Großbank in Schieflage, kann dies schon der Aktienkurs zum Ausdruck bringen. Extremverläufe wie zum Beispiel bei der Credit Suisse sollten Anlass für ein Gespräch oder Aufklärung seitens der Bank sein. Auch können steigende Verschuldungskonditionen Anlass zur Sorge geben, da darin ein höheres Ausfall- und Verlustrisiko eingepreist wird. Was bleibt, ist die Schwierigkeit, Informationen mit entsprechender Gewichtung zu verarbeiten und bei der Entscheidungsfindung zu gewichten, und natürlich liegt die Hemmschwelle zu rigorosen Handlungen, wie dem Verzicht auf Rendite oder Abziehen von Einlagen, hoch. Deren Unterlassen kann wiederum einen sehr hohen Preis haben.
Autor
Igor Ivanov ist Referent für Derivate- und Schuldenportfoliomanagement im Landesfinanzministerium der Freien und Hansestadt Hamburg.Info
Vanessa Wilke ist gemeinsam mit Sarah Döbeling Chefredakteurin der Zeitung „Der Neue Kämmerer“. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster arbeitete Vanessa Wilke als freie Journalistin beim Handelsblatt, bis sie 2003 ihr Volontariat bei FINANCE begann. Dort entwickelte sie im Jahr 2004 die Zeitung „Der Neue Kämmerer“ sowie den „Deutschen Kämmerertag“ und leitete anschließend die Redaktion. 2017 begann sie mit der Entwicklung von „OBM – Zeitung für Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister“. 2020 folgte die Weiterentwicklung dieses Themenfelds in der Plattform #stadtvonmorgen, die seitdem ebenfalls zu ihrem Verantwortungsbereich zählt.

