Herr Zimmermann, der Arbeitskreis Steuerschätzungen rechnet mit steigenden Steuereinnahmen. Viele Kommunen erwarten jedoch reale Einnahmenverluste und sehen eine Finanzkrise auf sich zukommen. Wie beurteilen Sie die Lage der deutschen Städte und Gemeinden?
Die Lage ist durchaus ernst. Die prognostizierten Mehreinnahmen der Steuerschätzung sind natürlich positiv, wichtig ist allerdings zu beachten, dass zum Beispiel die sich aus dem Inflationsausgleichsgesetz ergebenen Mindereinnahmen hierin noch nicht berücksichtigt wurden. Unterm Strich werden die prognostizierten Mehreinnahmen leider durch die Mindereinnahmen aufgesogen, und es sind Defizite zu erwarten. Das betrifft die öffentlichen Kassen, Bund, Länder und Kommunen, Unternehmen und Privatpersonen. Sämtliche Wirtschaftsinstitute gehen davon aus, dass eine Rezession kommt. Es ist zu hoffen, dass die schlimmsten Prognosen nicht eintreten werden. Wahrscheinlich aber wird es einen Steuereinbruch geben, und ich befürchte, dass sich eine schwere Finanzkrise des öffentlichen Sektors zusammenbraut – auch weil die Ausgaben extrem steigen: Energiekosten, Inflation, Sozialausgaben und vieles mehr.
Zu allem Überfluss steigen nun auch wieder die Zinsen.
Ja, die Zinswende belastet allein den Bundeshaushalt mit 40 Milliarden Euro – Tendenz steigend. Damit werden gleichzeitig die Spielräume für die Länder und Kommunen eingeschränkt. Vor allem für hochverschuldete Kommunen ergibt sich ein Problem. Der Bund hat zwar signalisiert, dass er bereit sei, über eine Altschuldenlösung zu sprechen, aber er will dafür eine Grundgesetzänderung. Ob die erforderlich ist, ist fachlich umstritten, aber da wir einen föderalen Staat haben, wird die Grundgesetzänderung aus politischen Gründen nicht vermeidbar sein. Deshalb wird es wohl auch keine schnelle Lösung geben.

Uwe Zimmermann ist Stellvertretender Hauptgeschäftsführer beim Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB). Quelle: DStGB
Zum Schuldendienst kommen noch die erhöhten Energiepreise. Worauf müssen sich die Kommunen kostenmäßig einstellen?
Die Energiepreise belasten die Kommunen ganz erheblich. Früher lagen die Stromkosten der Kommunen bei 5 Milliarden Euro. Wie sich die Kosten weiter entwickeln werden, ist derzeit noch unsicher, aber sie könnten sich verdoppeln oder noch stärker vervielfachen, auch wenn die Energiepreisdeckel für die Kommunen gelten, was eminent wichtig ist.
Und dann wäre da noch die Flüchtlingskrise, die sich gerade weiter verschärft.
Die Flüchtlingssituation ist tatsächlich sehr angespannt. Viele Kommunen werden Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften, in Zeltstädten, Turn- und Messehallen unterbringen, weil sie vielerorts keinerlei verfügbare Wohnungen mehr finden. Und das Problem könnte sich weiter verschärfen, denn wir müssen mit einer weiter zunehmenden Anzahl an Flüchtlingen rechnen – aus der Ukraine, aber auch aus anderen Staaten. Die Kostenfrage spielt hier natürlich auch eine erhebliche Rolle.
Aber wie können Kämmerinnen und Kämmerer nun auf die aus verschiedenen Gründen zunehmend angespannte Haushaltslage angemessen reagieren? Bei den freiwilligen Leistungen gibt es ja zumeist kaum noch Sparpotential.
Klar ist, dass man das Problem unter anderem auf der Ausgaben- und Leistungsseite angehen und öffentliche Leistungen priorisieren muss. Damit meine ich allerdings vor allem den Bund und die Länder, denn für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben haben Kommunen ja meist keine 5 Prozent mehr im Haushalt.
Wo sollten der Bund und die Länder den Rotstift ansetzen?
Aus meiner Sicht ist es fraglich, ob der Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter haltbar ist. Natürlich gibt es in der Sache einen breiten Konsens darüber, dass ein solches Angebot wünschenswert wäre, aber es geht nicht nur um die Kosten, sondern auch um die fehlenden Fachkräfte. So erscheint es fast unmöglich, dieses Ziel zu realisieren.
Der Investitionsrückstau steigt immer weiter an.
Ja, er liegt bei 159 Milliarden Euro in den Kommunen, und darin sind Zukunftsinvestitionen nicht einmal beinhaltet. Da fehlt es an langfristiger Finanzierungssicherheit, an Arbeitskräften, an Material – und die Bürokratie führt dazu, dass Prozesse viel zu lang dauern. Wir haben uns hierzulande schon daran gewöhnt, dass große Infrastrukturprojekte sehr langwierig sind – teilweise geht es um zweistellige Jahreszahlen. Das muss sich ändern. Wir brauchen Vereinfachungen in den Abläufen und Effizienzsteigerungen.
Inwiefern könnte eine Reform der Förderpolitik die Investitionstätigkeit begünstigen?
Im Bereich der Förderpolitik gibt es eindeutig Handlungsbedarf. Da sind diverse Fördertöpfe, die sehr schnell leer sind, und andere, die immer wieder verlängert werden müssen, weil die Mittel nicht abfließen, wie sie eigentlich sollten. Das liegt daran, dass die Antragstellung oft so aufwendig ist, dass viele Kommunen damit überfordert sind. Pauschalbudgets wären hier ein gutes Instrument, und gleichzeitig sollte die Kofinanzierungspflicht für finanzschwache Kommunen gestrichen werden. Oberstes Gebot wäre natürlich, die Kommunen in die Lage zu versetzen, dass sie ihre Aufgaben mit eigenen Mitteln stemmen können und die Entscheidungsfreiheit vor Ort haben.
Info
Das hier veröffentlichte Interview ist bereits in einer gekürzten Fassung in der aktuellen Zeitungsausgabe von Der Neue Kämmerer 04/2022 erschienen.Hier geht es zum Abo und hier zur Newsletter-Anmeldung.